Auf manche Züge sollte man aufspringen
Alois Nebel nimmt die Dinge genau. Seinem Job als Bahnwärter geht er pflichtbewusst nach, tropfende Wasserhähne dreht er stets zu und seiner Katze gibt er regelmäßig Milch. Ein unscheinbarer, einsamer Mann ist dieser Nebel. Sein Name verrät jedoch, dass etwas im Ungewissen lauert, eine Erinnerung, die besonders in den Nächten in seinem Gedächtnis aufleuchtet, ähnlich hell und blendend wie der Zug, der sich zu Anfang von Tomáš Lunáks Animationsfilm aus der Dunkelheit schält.
Vor zehn Jahren entstand die Graphic-Novel-Trilogie „Alois Nebel“, verfasst wurde sie von Jarsolav Rudis und gezeichnet vom Illustrator Jaromir 99. Beide haben das Drehbuch zur Verfilmung geschrieben, die 2012 den Europäischen Filmpreis als Bester Animationsfilm gewann. Die Geschichte ist im Sudetenland angesiedelt, in einem Örtchen namens Bílý Potok, das im tschechisch-schlesischen Altvatergebirge liegt, unweit der Grenze zu Polen.
Eines Nachts überschreitet sie illegal ein Fremder, der in Bílý Potok verhaftet und in ein Sanatorium gesteckt wird. Dort landet auch Nebel wegen seines Traumas, das ihn völlig aus dem Gleis zu bringen droht. Sein Zug der Erinnerung rollt beständig ins Jahr 1945, als er noch ein Junge war und die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg massenhaft aus dem Sudetenland vertrieben wurden, darunter Nebels Ziehmutter Dorothee.
Einen starken Noir-Touch bekommt Lunáks Film durch seine harten Schwarz-Weiß-Kontraste, doch Nebel taugt nicht zum detektivischen Helden, sondern bleibt lange ein passiver Beisteher, sowohl seiner eigenen Geschichte als auch der seines Landes. Als er aus der Anstalt entlassen wird, hat ein anderer seinen Job übernommen, weshalb Nebel nach Prag fährt, um sich an die dortige Obrigkeit zu wenden. In Prag rauschen die Ereignisse der Samtenen Revolution durch die Medien, der Systemwandel zur Demokratie löst jedoch keinen positiven Ruck aus, zumindest nicht für Nebel. Er wird obdachlos. Immerhin weckt er das Interesse der Toilettenfrau Kveta.
Lunak nutzte für den Film das Rotoskopie-Verfahren, drehte mit realen Schauspielern, um mit seinem Team danach die Aufnahmen zeichnend zu überarbeiten. Die Bewegungen der Figuren sind ungewöhnlich fließend, gleichzeitig legt sich die Animation wie eine Maske über die Gesichter, die einiges verbergen.
Zur Beruhigung seiner Nerven liest Nebel alte Fahrpläne, aus seinem Mund klingen sie wie der poetische Nachlass einer stabilen Zeit. Der Bahnwärter ist aber vor nichts sicher, vor allem nicht vor Kveta, die seinen Lebensfahrplan noch einmal schön durcheinander bringt.
Kino: Neues Arena (Mi auch OmU) R: T. Lunák (T, 84 Min.)
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