Auf der Couch mit einer Krake - eine gefühlige Tierdoku ist für einen Oscar nominiert
Um sich der Natur filmisch zu nähern, kann es eigentlich nur zwei Wege geben. Zum einen wie in der BBC-Reihe "Planet Earth" die Flora und Fauna in all ihrer Pracht zu zelebrieren - um dann auch wieder auf ihre Gefährdung hinzuweisen. Und zum anderen den Menschen selbst, den Tierfilmer bei seiner stark subjektiv eingefärbten Annäherung ins Zentrum zu stellen, wie es in Deutschland ein Andreas Kieling jahrelang vormachte. In die letztere Kategorie fällt "My Octopus Teacher" von Pippa Ehrlich und James Reed, ein Film, der sich für den Streaming-Giganten Netflix rasch von einem Geheimtipp in einen Überraschungshit verwandelte.
Burnout mit amphibischen Therapiesitzungen kurieren
Erklärbar wird dieser Erfolg aller Algorithmen zum Trotz aus der ungewöhnlichen Mensch-Tier-Beziehung, die ganz auf die Emotionen der Zuschauer abzielt. Im Zentrum steht der südafrikanische Tierfilmer Craig Foster, ein ruhiger, in sich gekehrter Mann, der vor zehn Jahren den Kontakt zur Natur, zu seiner Familie, ja, zu sich selbst verloren hatte. Den Burnout kuriert er nun bei der Arbeit: mit amphibischen Therapiesitzungen. Die Psychiaterin an seiner Seite ist ein Kraken-Weibchen, das Foster in einer von Tangwald versteckten Bucht im eiskalten Atlantischen Ozean entdeckt hatte. Das hochintelligente Weichtier, das seine 2.000 Saugknöpfe individuell steuern kann, lockt das Interesse des Tauchers gleich mit einem spektakulären Abwehrreflex. Um sich vor Pyjamahaien zu schützen, konstruiert der Kraken aus Muscheln ein effektives Schutzschild.
Ist der Film überhaupt dokumentarisch?
Später wird sich diese Beziehung intensivieren, kann sich Foster auch mal fallenlassen, wenn er von acht Armen unter Wasser geliebkost wird. Es sind Bilder aus einer anderen, immer noch unerforschten Welt, denen man sich nur schwer entziehen kann. Und so glaubt auch der Zuschauer bald in dem Kraken einen tierischen Freund wie einst Lassie oder Free Willy vor sich zu haben. Fraglich bleibt aber, ob dieses aus 3.000 Stunden Material destillierte, manipulativ geschnittene und mit süßlicher Streichermusik unterlegte Werk am Ende wirklich noch etwas Dokumentarisches an sich hat.
Zu sehen auf Netflix