Interview

Auf dem Jakobsweg: "Mein Weg - 780 Kilometer zu mir"

Der australische Filmemacher Bill Bennett hat seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg im Kinofilm "Mein Weg - 780 Kilometer zu mir" verarbeitet.
von  Volker Isfort
Bill (Chris Haywood) hat sich in den Kopf gesetzt, trotz Knieverletzung rund 800 Kilometer nach Santiago de Compostela zu laufen.
Bill (Chris Haywood) hat sich in den Kopf gesetzt, trotz Knieverletzung rund 800 Kilometer nach Santiago de Compostela zu laufen.

Aktuell ist Tobias Schlegl auf die Bestsellerliste gepilgert. Er beschreibt in "Leichtes Herz und schwere Beine", wie er mit seiner Mutter den Jakobsweg bewältigt. Seit Hape Kerkeling mit "Ich bin dann mal weg" 2006 eines der bestverkauften Sachbücher Deutschlands verfasste, sind die Erlebnisse auf dem Weg nach Santiago de Compostela ein Dauerbrenner auf dem Buchmarkt und im Kino und dienen zur Einstimmung oder Erinnerung an eine ganz besondere Zeit im Leben.

Auch der australische Regisseur Bill Bennett hat den Weg 2013 durchlitten, zu einem Buch und nun zu einem Film verarbeitet. Sein Film "The Way, My Way" wurde ein Überraschungserfolg im australischen Kino, am Donnerstag startet er auch bei uns.

AZ: Mister Bennett, was hat Sie von Australien auf den Jakobsweg geführt?
Bill Bennett: Ich ging jedenfalls nicht durch eine Midlife-Crisis, ich wollte mir auch nichts beweisen. Meine Frau und ich haben unsere Tochter besucht, die damals in Galicien lebte, um ein Buch über den Flamenco zu schreiben.

Unterwegs nach Santiago de Compostela
Unterwegs nach Santiago de Compostela © Happy Entertainment

Dazu würde ich eher Andalusien empfehlen.
Natürlich, aber ihr Freund lebte in Galicien. Dort sah ich dann immer wieder die Pilger auf dem Camino del Norte. Ich dachte, die sind verrückt. Wer bitte pilgert noch im 21. Jahrhundert? Als ich dann zum Cannes-Filmfestival musste, bin ich einen Teil der Strecke mit dem Auto auf dem Jakobsweg gefahren, um mir die Pilger genau anzuschauen. Ich kam mir vor wie eine Art David Attenborough, der eine seltene Vogelart studiert. Ich bin auch in Cafés gegangen, um den Pilgern zuzuhören, worüber sie reden und was sie motiviert.

Und dann hat Sie das Thema nicht mehr losgelassen?
Zurück aus Cannes, habe ich mir einen Stock gekauft und in einem Shop sechs dieser Jakobsmuscheln. Die habe ich alle nach Australien mitgenommen und später sehr sorgfältig ausgesucht, welche ich mir an den Rucksack machen würde. Ich habe immer an den Weg gedacht, aber meine Tochter und meine Frau haben gesagt: "Das machst Du ohnehin nicht."

Wie kamen die zu so einer Einschätzung?
Ich bin mein ganzes Leben lang Filmemacher gewesen und habe mich an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt. Ich hatte drei Assistenten, die alles für mich organisierten. Meine Frau konnte sich einfach nicht vorstellen, wie ich selber meine Wäsche wasche und in einer Art Jugendherberge in einem Gemeinschaftsschlafsaal übernachte. Ich weiß noch genau, wie ich mit der Familie in einem sehr angesagten Restaurant saß und meiner Frau sagte, dass ich nun ein Flugticket gekauft habe, um den Camino zu starten. Sie hatte gerade einen  Löffel Suppe zu sich genommen und diese dann vor Lachen über den Tisch geprustet, meine Tochter fiel buchstäblich vom Stuhl.

Der australische Regisseur Bill Bennett.
Der australische Regisseur Bill Bennett. © Happy Entertainment

Wieso haben Sie denn Ihre Kamera nicht mitgenommen, um gleich einen Film zu machen?
Das wollte ich nicht, ich wollte ursprünglich auch kein Buch schreiben. Aber meine Frau wollte, dass ich einen Blog schreibe, obwohl ich Blogautoren für die niederste Form der Schreiber halte - noch unter Filmkritikern! Aber natürlich war mein Blog schließlich eine gute Möglichkeit, meine Fotos zu zeigen und mit allen Bekannten in Kontakt zu bleiben.

Es ist schon speziell, an verwitterten Steinkreuzen entlang zu laufen, die tausend Jahre zuvor errichtet wurden.
Ich fühle nicht nur den Kontakt zur Geschichte, ich bin der festen Überzeugung, dass man auch eine spirituelle Energie spürt. Das ist etwas anderes als andere Trekkingrouten, etwa den Appalachian-Trail in den Vereinigten Staaten, zu bewältigen. Ich glaube fest daran, dass sich auf dem Camino die Energie früherer Pilger auf einen überträgt, selbst wenn man das erst nicht bewusst merkt.

So einsam pilgert man auf dem Jakobsweg nicht immer.
So einsam pilgert man auf dem Jakobsweg nicht immer. © Happy Entertainment

Sie wollten also eine spirituelle Erfahrung machen?
Nein, dieser Gedanke, dieses Gefühl kam mir erst beim Wandern. Meine Hauptsorge jeden Tag war eigentlich nur, das Tagesziel zu erreichen und anzukommen.

Mir gefällt die Szene, wie sich Bill im Film beim Rasieren über die Einfachheit des Lebens auf dem Camino Gedanken macht.
Das ist natürlich ein Teil der mentalen Entschleunigung. Das Leben ist simpel, strukturiert, man hat nur ein Ziel und keine tausend Entscheidungen täglich zu treffen, wie vielleicht im Alltag zu Hause.

Sie hinken vom ersten Tag an.
Naja, ich war so besessen von der Idee, dass ich in Australien das Training übertrieben habe. Ich bin mit vollem Gepäck drei Tage lang über dreißig Kilometer auf einer Asphaltpiste gelaufen, bis sich eine alte Knieverletzung wieder gemeldet hat. Es tat die ganze Zeit weh.

Die Unterwäsche auf der Küchenwaage 

Chris Haywood, der Sie spielt, hinkt nicht nur authentisch, er sieht auch realistisch erschöpft aus.
Von den 22 Personen, die eine Sprechrolle haben, sind nur vier Schauspieler, der Rest sind echte Pilger, teilweise die, mit denen ich vor einem Jahrzehnt gemeinsam gewandert bin. Und Chris habe ich wirklich gescheucht. Er trägt im Film nicht nur meine Jacke, Hose und meinen Rucksack, mit denen ich die Tour bestritten habe, wir haben den Rucksack auch befüllt mit allen Dingen, die ich dabei hatte.

Sie haben Ihre Unterwäsche wirklich mit der Küchenwaage abgewogen?
Meine Frau erinnert sich daran, dass ich ihr sagte, ich wolle auf gar keinen Fall Menschen kennenlernen. Sie schlug vor, mir ein Schild zu basteln mit der Aufschrift: "Do not talk to me." Ich habe nur gefragt: "Und wie viel wiegt es?"

Freundschaften, die den Weg überdauern 

Die Kontaktvermeidung war ja schließlich unmöglich.
Ich hatte online Pilger gesucht, um mir ein Taxi vom Flughafen Biarritz zum Start des Weges zu teilen. Und was soll ich sagen, die beiden Ungarn spielen im Film mit, Rosa konnte nicht, weil sie ein Kind bekam und ich eine Schauspielerin für ihren Part nehmen musste. Aber egal, wir vier haben uns nicht nur auf dem Weg immer wieder gesehen, sondern auch all die Jahre Kontakt gehalten nach unserer Ankunft in Santiago. Es sind wirklich Freundschaften entstanden.

Das Wandertempo ist ein wunderbares Tempo, um zu denken.
Ich glaube, das ist genau der Grund, warum ich den Abschnitt in der Meseta, der Hochebene, so liebe: lange, gerade Wege ohne irgendeine optische Ablenkung. Und dazu das Tick-Tick-Tick der Wanderstäbe, der Rhythmus der Füße, der Herzschlag und die Atmung, alles unverändert über Stunden. Das ist nicht meditativ, das ist hypnotisch! Da habe ich mich in ein ganz anderes Bewusstsein hineingewandert. Und natürlich kommen dann wieder Dinge an die Oberfläche, die ganz lange versunken und verdrängt waren, alles Sublimierte kann auf dem Camino wieder neu aufgearbeitet werden.

Haben Sie Ihre Erfahrungen für den Film dramatisiert?
Nein, das war überhaupt nicht nötig. Alles hat sich genau so zugetragen.

Chris Haywood spielte im Film Bill Bennett.
Chris Haywood spielte im Film Bill Bennett.

Und haben Sie nach dem Camino weiter gemacht?
Ich bin noch vier Pilgerwege in Frankreich, Portugal und Italien gewandert. 2018 habe ich allerdings eine Parkinson-Diagnose erhalten und seitdem ist es mir nicht mehr möglich, so eine Wanderung durchzustehen.

Es hat über ein Jahrzehnt gedauert, aus dem Buch einen Film zu machen.
Ich habe das Buch eigentlich mehr für mich geschrieben, um meine Gedanken nach der Tour zu sortieren. Aber es wurde dann doch ein Erfolg, vor allem in Amerika. Ein befreundeter Filmproduzent sagte mir dann, ich sollte einen Film daraus machen. Ich sagte ihm, ich könne keinen Film über mich drehen oder schreiben. Er hat dann Treatments bei anderen Autoren in Auftrag gegeben, und die Ergebnisse waren einfach fürchterlich. In einer Fassung wurde ich von einem Bären gejagt! Da war der Punkt erreicht, an dem ich dachte: Ok, dann mache ich es lieber selbst. Ich musste eine Perspektive entwickeln, aus der ich mich betrachten konnte wie eine fremde Person. So schrieb ich also über diesen sturköpfigen, arroganten, selbstbesoffenen Kerl, der sich glücklicherweise auf dem Weg ein wenig ändert.

Wir sehen eine idealisierte Variante des Caminos, leere Wege und Herbergen, tolle Landschaftsaufnahmen, aber nur wenige Menschen.
Ich wollte im schönsten Licht filmen, und das gab es so um sieben Uhr abends. Da sitzen die Pilger aber schon in ihren Herbergen. Ursprünglich wollte ich mehr Pilger im Bild, aber dann dachte ich mir, sie lenken ohnehin nur von meinen Protagonisten ab. Und so wurde der allein durch die Landschaft laufende Chris so eine Art ikonisches Pilgerbild. Natürlich sieht die Realität anders aus.

Ja, teilweise völlig überlaufen. Fühlen Sie sich verantwortlich dafür, diesen Boom noch zu befeuern?
Für mich war der Weg eine tiefe, lebensverändernde Erfahrung. Sollte man wirklich anderen Menschen diese Erfahrung vorenthalten?


"Mein Weg - 780 Kilometer zu mir" ab 24. 4. 2025 im Kino

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