Interview

Andreas Dresen über "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush": "Murats Geschichte hat mich erschüttert"

"Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" startet übermorgen in den Kinos. Andreas Dresen erzählt über diesen deutschen Fall, der uns alle angeht.
Margret Köhler |
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Die Comedienne Meltem Kaptan als Mutter, die wie eine Löwin für die Freilassung ihres Sohnes kämpft und das auch sehr humorvoll, obwohl einem im Falle der Behandlung von Murat Kurnaz durch die USA und die Bundesrepublik das Lachen vergehen könnte.
Die Comedienne Meltem Kaptan als Mutter, die wie eine Löwin für die Freilassung ihres Sohnes kämpft und das auch sehr humorvoll, obwohl einem im Falle der Behandlung von Murat Kurnaz durch die USA und die Bundesrepublik das Lachen vergehen könnte. © Luna Zscharnt

Die Geschichte des widerrechtlich festgehaltenen Bremer Murat Kurnaz im Lager Guantanamo wurde 2013 im Drama "5 Jahre Leben" erzählt. Nun widmet sich auch Regisseur Andreas Dresen dem politischen Vollversagen in Deutschland, aber auch den USA und der Türkei, allerdings wählt sein Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" einen besonderen Ansatzpunkt. Im Mittelpunkt stehen Murats Mutter (Meltem Kaptan), die wie eine Löwin um die Freiheit ihres Sohnes kämpft, sowie deren engagierter Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer).

AZ: Herr Dresen, wahre "David gegen Goliath"-Geschichten geben Menschen Hoffnung.
ANDREAS DRESEN: Die Geschichte von Murat liegt ja schon 15 Jahre zurück. Es ist aber hilfreich, sich ab und zu daran zu erinnern, dass die Gesellschaft, in der wir leben, von Menschen gemacht und demzufolge auch von Menschen veränderbar ist. Wenn uns etwas nicht passt, sollten wir unsere Stimme erheben und aufstehen. Selbst wenn eine türkische Hausfrau aus Bremen-Hemelingen gegen den amerikanischen Präsidenten ins Feld zieht, hat sie eine Chance zu gewinnen. Das finde ich wiederum eine frohe Botschaft, die uns abhalten sollte, zu defätistisch zu sein, wenn wir abends die Nachrichten schauen.

"Murats Geschichte hat mich erschüttert und ich wollte sie erzählen"

Bislang haben Sie sich eher den intimen Geschichten vor unserer Haustür gewidmet. Hat dieser Ausflug in die Weltpolitik Ihren Horizont erweitert?
Ja, wobei ich ehrlich gesagt im Vorfeld gar nicht so viel darüber nachgedacht habe. Das hat sich einfach ergeben. Die Geschichte von Murat hat mich erschüttert und ich wollte sie irgendwie erzählen. Dass das die Konsequenz haben würde, dass ich in Washington und Ankara drehen muss, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Es ist natürlich auch eine interessante Erfahrung, mit ausländischen Teams zusammenzuarbeiten. Aber ich habe die Geschichte ja auch vor allem im Reihenhaus in Bremen erzählt. Mich hat die ganze türkische Gemeinschaft in Hemelingen interessiert. Wie leben die? Wie funktioniert so eine Familie? Ich finde immer schön, dass ich so etwas bei meiner Arbeit kennenlernen darf.

Sie haben Murat Kurnaz mehrfach getroffen. Hat er während seiner Gefangenschaft irgendetwas von den Aktivitäten seiner Mutter mitbekommen?
Erst als sein amerikanischer Anwalt ihn nach dreieinhalb Jahren Haft besuchen konnte. Da hat er erfahren, was seine Mutter alles gemacht hat und dass sie unter anderem in Amerika war. So hat Murat Kurnaz zum ersten Mal mitbekommen, dass außerhalb von Guantanamo Aktivitäten laufen, um ihn da rauszuholen.

"Rabiye Kurnaz lässt sich nicht erniedrigen"

Rabiye Kurnaz ist keine vom Gram gebeugte Mutter, sie kann die Aufmerksamkeit durchaus auch genießen, die man ihr entgegenbringt…
Na klar! Für sie ist das erstmal die Chance, die Stimme zu erheben oder überhaupt eine zu erhalten, um sich zu den Sachverhalten zu äußern. Und damit eine kleine Möglichkeit, ihren Sohn wiederzukriegen. Man darf ja nicht vergessen, dass ihrem Anwalt Bernhard Docke auch erstmal die Hände gebunden waren, weil er mit juristischen Mitteln nicht richtig an den Fall rankam. Auch Bernhard musste erst die Bittstellerbrief- und Medienkarte spielen. Die progressiven Medien jenseits jener Boulevardblätter, die den Begriff vom "Bremer Taliban" geprägt haben, waren in dieser ganzen Geschichte hilfreich. Das hat auch Rabiye Kurnaz als Chance verstanden und begriffen.

Ohne ihr naives Herangehen hätte Rabiye Kurnaz wahrscheinlich nichts erreicht. Stehen wir uns mit rationalem Denken zu oft im Weg?
Wenn man an so eine Geschichte rational rangeht, fängt man wahrscheinlich gar nicht erst an, zu kämpfen, weil man sich sagt: "Okay, da habe ich eh keine Chance." Rabiye Kurnaz ist zum Glück aber ein Mensch, der einfach erstmal losgeht. Ihr Handeln ist nicht vom Zweifeln angefressen, wie es bei reflektierteren Menschen der Fall ist. Meltem Kaptan hat in Bezug auf Rabiye Kurnaz das Wort vom "Steh-auf-Weibchen" geprägt. Das finde ich eine ziemlich gute Formulierung. Sie lässt sich einfach nicht niederringen. Das bewundere ich. Ich denke, wenn ich das hätte machen müssen, wäre ich schon sehr früh verzweifelt.

Für welchen Hollywood-Star steht der Tim Williams aus dem Film, der sich für die Auflösung Guantanamos und Rechtsstaatlichkeit gegenüber den Gefangenen engagiert?
Im Original ist es Vanessa Redgrave gewesen, die sehr geholfen hat. Sie hat den Film übrigens gesehen und uns einen ganz tollen Text dazu geschickt. Sie war ganz begeistert, unter anderem auch von Meltem Kaptan. Aber sie ist ja mittlerweile auch älter geworden und deshalb haben wir unseren Hollywoodstar eben erfunden.

"Wir wollten das türkische Milieu so genau wie möglich nachzeichnen"

Denkt man in den heutigen Zeiten zweimal darüber nach, ob man seine Figur einen deutsch-türkischen Slang sprechen lässt, weil man vielleicht kulturelle Aneignung oder ähnliches vorgeworfen bekommt? Unsere Film-Rabiye spricht exakt so, wie das Original. Da war Meltem Kaptan präzise. Sie selbst spricht nämlich ganz anders. Sie ist eine Verwandlungsspielerin, die selbst bis zum Sprachklang Leute nachmachen kann. Ähnlich wie Alexander Scheer, der das auch beherrscht. Die beiden haben die Original-Personen genau studiert. Bei Rabiye Kurnaz gehört das Durcheinandersprechen von Deutsch und Türkisch ganz einfach zu ihrem Wesen. Es ist bei ganz vielen Deutsch-Türken so, dass sie sich das Beste aus beiden Sprachen herausnehmen und dann verquirlen. Auch wenn sie untereinander sprechen. Das fand ich besonders toll und wollte es unbedingt im Film haben. Deswegen ist es in einigen Szenen so, dass die Figuren mitten im Satz einzelne Worte austauschen oder in die andere Sprache wechseln. Wir wollten das türkische Milieu in unserem Film so genau wie möglich zeichnen.

Die deutsche Politik hat sich seinerzeit unrühmlich verhalten und sich nie entschuldigt.
Ich finde, was den Fall Kurnaz betrifft, ist es wirklich ein Armutszeugnis. Die Drehbuchautorin Laila Stieler und ich haben uns während der Arbeit an dem Stoff oft gefragt, was passiert wäre, wenn Murat Kurnaz Gerhard Müller heißen würde. Vermutlich wäre er vier Jahre früher aus Guantanamo rausgekommen. Es ist natürlich ein Unding, dass so etwas heutzutage möglich ist. Mal ganz davon abgesehen, dass es überhaupt ein Unding ist, dass Guantanamo immer noch existiert, dass Leute 20 Jahre lang ohne Gerichtsverfahren in einem Foltergefängnis sitzen. Wir zeigen gerne mit dem Finger auf die Diktatoren dieser Welt und klagen an. Aber manchmal müssen wir auch in unserem demokratischen Gemeinwesen erstmal vor der eigenen Haustür kehren.

"Wenn man einen Fehler bemerkt, sollte man ihn auch anerkennen"

Inwiefern?
Die deutsche Politik hat sich eben nicht mit Ruhm bekleckert, weil sie die Frage, ob sie einem Menschen hilft, von seinem Pass abhängig gemacht hat. Das ist beschämend. Insbesondere, weil Murat Kurnaz in Bremen, in Deutschland aufgewachsen ist. Es ist eine Frage des moralischen Anstandes, dass da wenigstens jemand sagt: "Wir haben uns geirrt, es tut uns leid." Ich gestehe jedem Menschen, also natürlich auch jedem Politiker zu, Fehler zu machen. Natürlich kann so etwas im politischen Geschäft schwerwiegende Folgen haben. Aber wenn man dann später erkennt, dass das ein Fehler war, der Unrecht zur Folge hatte, dann sollte man bekennen, dass das Scheiße gelaufen ist und sich entschuldigen. Dass das nicht passiert, finde ich schlimm.

Wenn ein Politiker Fehler eingesteht, muss er heutzutage damit rechnen, durchs Dorf getrieben zu werden, oder?
Bei Steinmeier würde es, wenn er jetzt im Fall Kurnaz sagen würde: "Das ist damals Scheiße gelaufen.", keinen Grund geben, ihn durchs Dorf zu treiben. Wahrscheinlich würden alle aufatmen und sagen: "Endlich, das war überfällig. Warum nicht früher?". Er ist ein kluger Mann, wo bitte ist das Problem?

Wie auch die Autorin Juli Zeh gehören Sie dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg an. Können Sie in dieser Funktion oder als Filmemacher mehr Positives tun?
Das sind zwei völlig verschiedene Baustellen. Im Verfassungsgericht kann ich einen direkten Beitrag zum demokratischen Gemeinwesen leisten. Ich finde es ganz toll, dass es diese Kontrollinstanzen gibt. Im Film ist es der Supreme Court, der mit seinem Urteil dem Präsidenten eine schallende Ohrfeige verpasst hat. Dazu sind Verfassungsgerichte da: Sie schützen die Grundwerte unserer Demokratie. Ich werde aber am Ende des Jahres ausscheiden, habe das dann zehn Jahre miterlebt und kann sagen, dass es eine gute Institution ist. Bürger, aber auch politische Parteien, Kommunen usw. können dort Recht bekommen. Auch gegenüber den scheinbar übermächtigen Regierenden.

"Es ist das Schöne an meinem Beruf, dass ich solche Leute kennenlernen kann"

Und als Filmemacher?
Da habe ich eine andere Chance. Ich kann die Herzen der Menschen erreichen. Wenn man berührt und bewegt ist, rutscht vielleicht auch eine Erkenntnis in den Kopf. Wenn man beispielsweise aus dem Rabiye-Film rauskommt und einen produktiven Zorn empfindet, wäre mir das recht. Zorn auf die Verhältnisse, die eine solche Geschichte überhaupt ermöglichen und produktiv dahingehend, dass diese Verhältnisse veränderbar sind und man ihnen trotzdem etwas abringen kann. In unserem Fall hat Rabiye Kurnaz ihren Sohn aus Guantanamo rausgeholt! Das ist eine frohe Botschaft.

Werden Sie mit Frau Kurnaz in Verbindung bleiben oder ist das Thema für die Dame abgeschlossen, so wie im Film?
Ich bin mit der ganzen Familie in Verbindung. Und auch mit Bernhard, dem Rechtsanwalt. Wir waren kürzlich gemeinsam beim Filmfestival in Istanbul. Es war herrlich, Rabiye Kurnaz vor dem türkischen Publikum zu erleben. Sie hat einen zehnminütigen Monolog gehalten, der die Leute zum Lachen gebracht hat. Das ist einfach wunderbar. Es ist das Schöne an meinem Beruf, dass ich solche Menschen kennenlernen kann. Und da bleibt häufig sehr viel mehr, als nur die professionelle Begegnung. Hier ist etwas entstanden, was lange halten wird. Da ist eine Freundschaft.  

Andreas Dresen. Geboren 1963 in Gera. Der Regisseur wurde bekannt durch Filme wie "Halbe Treppe" (2002), "Sommer vorm Balkon" (2005) oder "Gundermann" (2018). Seit zehn Jahren ist Dresen außerdem einer von neun Richtern des Verfassungsgerichts Brandenburg.

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