Anarchiefreuden mit "Beasts of the Southern Wild"

Die Hauptfigur knackt Krabben, lauscht Tieren, und steckt mit ihrer Energie auch den Zuschauer an: „Beasts of the Southern Wild“
von  Margret Köhler

Die Hauptfigur knackt Krabben, lauscht Tieren, und steckt mit ihrer Energie auch den Zuschauer an: „Beasts of the Southern Wild“.

 

Am ersten Drehtag explodierte die Deepwater Horizon Plattform von BP. Hautnah haben wir erlebt, wie sich das Öl ausbreitete und das ökologische System zerstörte.“ Für Benh Zeitlin, Gewinner des Großen Jurypreises in Sundance und der Camera d’Or in Cannes, ist dieses von Menschenhand gemachte Unglück eine weitere Bestätigung für seinen Film, denn „nicht nur auf der Leinwand verschwindet eine Welt, sondern auch in der Wirklichkeit.

Das Schlimme daran ist, die Politiker spucken große Töne und nichts ändert sich.“ Der bildgewaltige und bereits mehrfach preisgekrönte Abenteuertrip führt in die Bayous, den mythischen Süden Louisianas, verbindet Umweltkatastrophe und fantasievolle Fabelwelt. Im Bathtub, einer Slumsiedlung tief in den Sümpfen hinter dem Deich, kann jeder Tag der letzte sein, die nächste Überflutung ist nur eine Frage der Zeit, es herrscht Elend, aber keine Larmoyanz.

Hier lebt die sechsjährige Hushpuppy mit ihrem Fusel saufenden Daddy. Ein Energiebündel, das mit den Händen Krabben knackt, sich kräftig prügelt, den Tieren lauscht und wie ein kleiner Panzer durch den Matsch stapft. Aus ihrem Blickwinkel erlebt man den Mikrokosmos von Außenseitern, die eine Party feiern, wenn der Sturm kommt und sich gemeinsam gegen die Naturgewalt wehren, aber auch gegen die Evakuierung durch die Behörden.

Überleben im Desaster als archaische Gemeinschaftssache

Überleben im Desaster als archaische Gemeinschaftssache. Ein Hoch auf die kleine Anarchie. Kindheit ist hier keine schöne, aber eine aufregende und gefährliche Zeit. Zeitlin nennt sein fulminantes Werk ein „Volksmärchen zur Abgrenzung gegenüber den Märchen mit der guten Fee. Eine Legende, wie man sie sich gerne am Lagerfeuer erzählt“.

Der preisgekrönte Kurzfilmregisseur verzichtet auf professionelle Schauspieler, viele Mitwirkende spielen sich selbst. Die aus 4000 Mädchen ausgewählte sechsjährige Quvenzhané Wallis ist ein Phänomen. „Vielleicht war es der verrückteste Einfall, mit einer Sechsjährigen zu arbeiten“, erinnert er sich, „sie spielte ohne mit der Wimper zu zucken komplizierte Szenen und holte uns immer wieder auf den Boden zurück. Manchmal sagte sie ganz direkt, ,Blödsinn, so spricht kein Kind’, und wir haben dann brav die Sätze umformuliert.“

„Beasts of the Southern Wild“ verzaubert mit Schauwert vom Feinsten. Kaum zu glauben, dass dieser poetische Lobgesang auf Überlebenskraft und Selbstvertrauen in fast aussichtslosen Situationen ein Spielfilmdebüt ist.

Nach seinem in Louisiana gedrehten Kurzfilm „Glory at Sea“ verliebte sich der 30-Jährige in den „wilden Ort und die Menschen, die trotz aller Schicksalsschläge und Hurrikan Katrina ihre Würde, ihren Stolz und ihren Mut nicht verloren haben. Ich bin in meine New Yorker Schuhschachtel zurückgekehrt und habe meine Sachen gepackt. Mein Film ist so etwas wie ein Liebeslied für Louisiana und seine mutigen und stolzen Bewohner. Da spüre ich eine Freiheit, wie sonst nirgends in Amerika. Sie müssen nach New Orleans kommen, dann verstehen Sie, was ich meine“, begeistert er sich.

Hollywood, Spider-Man & Co., sind nicht sein Ding. Trotz des internationalen Erfolgs würde Zeitlin alles tun, unabhängig seinen Weg weiterzugehen und auch für „weniger Geld ein Herzensprojekt durchziehen“.

Kino: ABC, Arena, City R: Benh Zeitlin (USA, 93 Min.)

 

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