"Alles steht Kopf": beim zweiten Mal in der Pubertät
Kann ich überhaupt noch aus dem Haus, wenn ich den Pickel nicht ausgedrückt bekomme? Werde ich noch von meinen Kumpels gemocht, wenn ich der Streberin am Kopierer helfe? Die Fragen mögen banal sein, die richtigen Antworten darauf zu finden, sind für viele Pubertierende aber eine Qual. Der Zweifel an der Entscheidungsfindung, das Hinterfragen des eigenen Ichs - es steht nicht von ungefähr im Zentrum der mit Spannung erwarteten Pixar-Fortsetzung "Alles steht Kopf 2".
Vor neun Jahren ließ sich Pete Docter für seinen Animations-Geniestreich "Alles steht Kopf" von seiner eigenen Tochter inspirieren. Verblüffte Zuschauer von jung bis alt fanden sich hier im Kopf des elfjährigen Mädchens Riley wieder, das von innen heraus an einer Art Gefühlsmischpult von den Emotionen Freude, Kummer, Wut und Angst angetrieben wurde.
Nun dreht der neue Regisseur Kelsey Mann das Gefühlsrad zwei Jahre in Richtung Pubertät weiter. Die äußeren Anzeichen: Pickel, Haarspange, Wachstum, sind alle erkennbar. Im Inneren von Riley, der blonden Vorzeigeschülerin mit dem Faible für Eishockey, dominiert anfangs aber noch die "Freude" souverän die Gefühls-Regler. Bis, ja, bis der rote Alarmknopf aufleuchtet und die Abrissbirne namens Pubertät das Innenleben von Riley zur Baustelle erklärt.
Wo der Zweifel nagt
Den Stein für einen emotionalen Umbau ins Rollen bringt, und das zeigt "Alles steht Kopf 2" psychologisch genau, letztlich eine Petitesse: Die beiden besten Freundinnen gehen nicht wie mit Riley verabredet auf die gleiche Highschool. Für die Heldin von "Alles steht Kopf 2" ein brutaler Stich ins Herz, trotz aller Beschwichtigungen wie "Wir können uns ja trotzdem sehen". Nun übernimmt eine neue Emotion das Ruder: der "Zweifel": Typ panischer Road Runner mit irrem Blick.
Kindliche Emotionen: weggesperrt
Die schulische Zukunft von Riley malt sich der Zweifel in den düstersten Farben aus - und trifft daraufhin Maßnahmen, die den Wertekompass des Teens grundlegend erschüttern.
Rileys kindliche Emotionen ohne Schattierungen stören jetzt, werden weggesperrt. Mit an der Gefühlskanzel sitzen nun "Peinlich", ein schüchterner Riese mit Knubbelnase und Hoodie, der kulleräugig undurchschaubare "Neid" und auf der Couch dauerschlapp "Ennui", die Langeweile.

Nostalgie ist Omas Besuch
Einen wahnsinnig komischen Gastauftritt hat als charmante Omi auch die "Nostalgie", die aber doch wieder weggeschickt wird, weil sie zu früh dran ist.
Immer wieder zappt der knallbunte und bis in die feinsten Schweißperlen herausragend animierte Film zur innerlich zerrissenen Riley, wie sie in einem Eishockey-Camp angestrengt versucht neue und coolere Freundinnen zu gewinnen, während die Clique von einst auseinanderbricht.

Peinlich, peinlich
Mit aller Kraft hält im Innern die sich befreiende "Freude" dagegen, versucht die Persönlichkeit von Riley und ihre Überzeugung doch "eine gute Person" zu sein wieder ins Bewusstsein zu pushen. Der "Zweifel" sät bei Riley aber immer mehr das Gefühl nicht "gut genug" im Leben zu sein. Ein verzwickter, mit allen Mitteln geführter Zweikampf der Emotionen entbrennt, der auch noch in einem Eishockey-Entscheidungsspiel seine äußere filmische Entsprechung findet.
Neue Gefühle treiben das Tempo
Die neuen Gefühlswelten peitschen das Tempo der Fortsetzung ins Extrem, bis an den Rand der Überforderung, spiegeln so aber auch das leidige Thema Pubertät kongenial wider.
Kinder bis zur 8. Klasse dürften von diesem Ritt durchs Innenleben einer 13-Jährigen jedoch überfordert sein, Eltern von Pubertieren dafür vieles wiedererkennen. Spannend ist am Ende auch, was "Alles steht Kopf 2" nicht verhandelt: Nicht nur den Wahnwitz Social Media, sondern auch die Erste Liebe. Aber vielleicht steht Riley dann ja auch in einem dritten Teil wieder Kopf, wenn Pixar nach Flops wie "Lightyear" hier endlich wieder mal ein Kinohit gelingen sollte.
Kino: Astor Lounge, Cadillac & Veranda, CinemaxX, Mathäser, Royal, Cinema (OV)
R: Kelsey Mann (USA, 100 Min.)
- Themen: