"Alcarrás - Die letzte Ernte": Echt und ganz nah dran

Man riecht sie fast die Pfirsiche an den Bäumen und glaubt, ihren Saft zu schmecken. Die Sonne scheint, eine Familie pflückt mit migrantischen Hilfskräften die reifen Früchte, ein Bilderbuchsommer in mildes Licht getaucht. Aber nur auf den ersten Blick eine heile Welt.
Ein wackliger Pachtvertrag
Die Familie Solé betreibt die Pfirsichfarm schon seit 80 Jahren und würde es auch gerne weiter tun. Aber der Großvater hat vor Urzeiten den Pachtvertrag ganz naiv und vertrauensvoll nur per Handschlag abgeschlossen. Der Großgrundbesitzer hatte ihm das Land überlassen als Dank für seine Rettung im spanischen Bürgerkrieg. Nun will der Erbe mit Solarpanelen Reibach machen und kündigt den Bauern zum Ende der Ernte.
Das Familienoberhaupt Quimet (Jordi Pujol Dolcet) stellt sich stur, macht weiter wie zuvor, Großvater Rogelio hofft auf ein Umdenken in letzter Minute. Die Familienstruktur bröselt, die einen trauen den anderen nicht mehr über den Weg, die Spannung zwischen den Generationen wächst, aber auch die Einsicht, in Krisenzeiten zusammen zu halten.
Laienschauspieler mit Bezug zur Region
Regisseurin Carla Simón, deren Onkel und Tanten Pfirsiche in Alcarrás anbauen, zeichnet den langsamen Niedergang traditionell gewachsener Bindungen. Vor allem die Kinder leiden, wird ihnen doch ein Abenteuerrefugium nach dem anderen genommen und letztlich die Heimat. Die Regisseurin arbeitete mit Laienschauspielern, die eine Beziehung zur Region und zur Erde haben, hart arbeiten. Im Film essen sie gemeinsam, feiern Feste, fahren die letzte Ernte ein.
In "Alcarrás" wird nicht eine Figur nach der anderen eingeführt, sondern es herrscht eine bewusste Gleichzeitigkeit, ein ständiges Miteinander und Durcheinander: eine fiktive Großfamilie, die durch Echtheit überzeugt, allein schon durch den Dialekt im Original. Nach langer Vorbereitung, vielen Treffen über drei Monate hinweg in einem angemieteten Haus in der Gegend begannen die Dreharbeiten, mal mit improvisierten Szenen, mal hielt man sich an die Vorlage.
Mit dem Goldenen Bären prämiert
Der Zuschauer wird im Verlauf der Handlung Teil des Geschehens. Simón sieht ihren - mit dem "Goldenen Bären" der Berlinale ausgezeichneten - Film als eine Hommage an die wenigen Familien, die noch auf dem Land durchhalten und sich gegen den Ausverkauf stemmen. Sie schlägt einen Bogen zwischen Persönlichem und Politischem.
Das Ende einer Ära
Demonstrationen wie die der Genossenschaft gegen Dumpingpreise in Supermärkten sind relativ erfolglos. Das Ende einer Ära ist eingeläutet. Nicht nur in Alcarrás, nicht nur in Katalonien. Aber als Konsumenten haben wir beim Einkauf noch Einflussmöglichkeiten.
Kino: City, ABC, Monopol (alle auch OmU) sowie Isabella, Theatiner (OmU), R: Carla Simón (E, 120 Min.)