Adrian Goiginger: Mit dem Fuchs Vergebung lernen

AZ-Interview mit Adrian Goiginger. Mit seinem Debütfilm "Die beste aller Welten" erzählte 2017 der heute 32-jährige Salzburger seine eigene Geschichte und die seiner drogensüchtigen Mutter, dafür erhielt der damals 26-Jährige fünf Österreichische Filmpreise, zwei Bayerische Filmpreise und Publikumspreise auf diversen Festivals.
Mit Anfang 30 schon sehr erfolgreich
Österreichs Regie-Shootingstar Adrian Goiginger beherrscht die Kunst der Verdichtung und verfügt über ein sicheres Gefühl für Figurenzeichnung. In seinem dritten Film greift er in "Der Fuchs" das Schicksal seines Urgroßvaters Franz Streitberger auf, der 1927 als Kind von verarmten Bergbauern an einen Großbauern gegeben wurde und nach der Knechtschaft als Soldat und Motorradkurier in den Zweiten Weltkrieg zog. Durch einen Fuchswelpen, den er mit an die französische Front nimmt, entdeckt er Glaube an Liebe und Familie neu.
AZ: Herr Goiginger, woher kommt Ihr Interesse an wahren Geschichten?
ADRIAN GOIGINGER: Die gehen mir am meisten ans Herz: entweder weil ich die Menschen gekannt habe oder über sie lese und höre. Diesen wahren Kern finde ich toll, da habe ich das Gefühl, ich erzähle was wirklich Wahrhaftiges. Aber ich kann sie trotzdem noch fiktionalisieren.
Adrian Gioginger: "Das wichtigste ist die Perspektive"
Da tragen Sie aber eine gewisse Verantwortung, Sie können die Wahrheit ja nicht über den Haufen werfen.
Die wichtigste Entscheidung ist die Perspektive, aus wessen Augen erzähle ich? Bei "Die beste aller Welten" ging es darum, die Geschichte der Mutter aus den Augen des Kindes zu erzählen, bei "Der Fuchs" nur aus den Augen dieses jungen Mannes, eines Soldaten. Kaum hat man den Blickwinkel, geht's leichter. Hier handelt es sich um ein Trauma aus der Kindheit, das durch die Freundschaft zu einem Fuchs überwunden wird.
Ihr Urgroßvater ist ein Beispiel dafür, wie frühe seelische Wunden einen Menschen zum Außenseiter machen.
Absolut. Ich erzähle die Geschichte einer Generation, die es schlimm erwischt hat. Diese Armut, diese Entbehrungen, die emotionale Abstumpfung, die Eltern, die ihre Kinder nicht ernähren konnten, die katholische Kirche, die alle in Geiselhaft gehalten hat. Da ist es eigentlich ein Wunder, nicht als gefühlskalter Mensch herauszukommen. Mein Urgroßvater war streng, autoritär und ein Produkt seiner Zeit, aber kein Rabenvater. Ich bin froh, dass wir das überwunden haben und uns trauen, mit unseren Kindern über Gefühle zu reden.
"Wenn man sich mit Geschichte beschäftigt wird man demütig"
Wenn wir angesichts der damaligen erbärmlichen Zuständen heute klagen, wie schlecht es uns geht. Jammern wir da nicht auf hohem Niveau?
Einverstanden. Deshalb beschäftige ich mich so gerne mit Geschichte. Da wird man demütig und setzt heutige Probleme wieder in Relation. Wichtig war mir, ein Zeitbild zu schaffen, damit die Leute sich erinnern. Es ist ja erst 90 Jahre her, dass Kinder verschenkt wurden, weil die Eltern sie nicht mehr ernähren konnten. Mein Urgroßvater wuchs mit zwölf Geschwistern auf und das in einer Zeit der Hyperinflation, Arbeitslosigkeit und ohne Sozialsystem.
Ihr Kernthema heißt Vergebung. Die letzte Szene schließt versöhnlich, ihr Urgroßvater vergibt seinem Vater. War das in der Realität so?
Ob es wirklich so war, weiß man nicht so genau. Viel habe ich über die anderen Verwandten erfahren. Ich würde sagen, er hat seinen Frieden geschlossen damit, er war nicht verbittert. Aber die große Vergebung gab es nicht. Vergebenkönnen halte ich für eine elementare Charakterstärke, der es leider an Wertschätzung in unserer Gesellschaft mangelt. Es ist selten, dass sich jemand in der Öffentlichkeit entschuldigt, es wird meistens nur draufgehauen und nachgetreten.
Der Urgroßvater und der Fuchs
Inwieweit hat Ihr Urgroßvater Emotionen gezeigt?
Einmal habe ich ihn weinen sehen, als er von seinem Fuchs erzählt hat, obwohl der Fuchs seit 70 Jahren keine Rolle mehr spielte in seinem Leben. Da war mir klar, es geht eindeutig um viel mehr als um ein Tier.
Wofür steht der Fuchs?
Wenn Franz diesen verletzten Welpen trifft, ist es so, als würden sich zwei Waisenkinder treffen. Er kann dem Fuchs der Vater sein, den er sich selbst gewünscht hätte. Er will alles besser machen als sein eigener Vater, und dadurch steht der Fuchs quasi für das Zurückfinden ins Leben. Sonst wäre mein Urgroßvater wahrscheinlich emotional nie wieder aus dieser Schale herausgekommen, die er sich als Jugendlicher aufgebaut hat.
Wie reagierte er auf Fragen nach dem Krieg?
Bei ihm sind Zorn, Ärger und Wut immer wieder hochgekommen. Auch Trauer. Er hat die Diskussion meistens mit den Worten beendet: "Adrian, ich hoffe nur, dass du nie einen Krieg erleben musst." Das war jedes Mal eine schmerzvolle Reise in die Vergangenheit.
Wiederkehrendes Motiv: Söhne ohne Väter
In Ihren drei bisherigen Filmen dreht sich viel um die Figur eines Sohnes. Woher kommt diese Affinität?
Ich bin drauf gekommen, dass in meinen drei Filmen der Vater oder der fehlende Vater eine entscheidende Rolle spielt. Ich selbst bin ohne Vater aufgewachsen, unterbewusst habe ich meine vaterlose Kindheit wahrscheinlich immer einfließen lassen. Ist doch interessant, wie das Unterbewusstsein uns beeinflusst.
Im Pinzgau, dem Ort der Handlung, konnten Sie nicht drehen, weil der Tourismus viel zerstört hat. Macht Sie das wütend?
Es schmerzt natürlich schon, man hätte am liebsten eine unberührte Natur. Auf der anderen Seite verstehe ich die Leute, die raus wollten aus ihrer Armut. Durch den Tourismus sind die ärmsten Regionen jetzt die reichsten. Zu wünschen wäre ein gesundes Mittelmaß. Aber wir Menschen neigen leider zur Übertreibung und schießen dann über das Ziel hinaus. Das ist schade.
Dreharbeiten mit Kindern und Tieren
Es wird gewarnt, mit Kindern und Tieren zu drehen. Sie haben es trotzdem getan ...
Ich liebe die Arbeit mit Kindern. Mit Tieren, gerade mit Wildtieren wie Füchsen, ist das wahnsinnig anstrengend und zeitaufwändig. Einen Fuchs kann man nicht dressieren, sondern muss sich nach den Launen des Tieres richten, sehr flexibel sein und viel improvisieren. Wir konnten immer nur im Frühjahr drehen, weil dann die Füchse zur Welt kommen. Und dann hatten wir auch noch Corona. Die Dreharbeiten entpuppten sich als eine riesige Herausforderung.
Schon als 17-Jähriger haben sie die Gespräche mit dem Urgroßvater mit dem Diktiergerät aufgenommen...
Die Idee kam mir bereits mit 14, als ich erstmals mit ihm über den Fuchs zu reden begann. Die Gespräche liefen mit Abständen über die Jahre, bis zu seinem Tod – 2017 als 100-Jähriger – haben wir uns immer seine Fotos aus dem Krieg angeschaut und diskutiert. Nach "Forrest Gump" wusste ich übrigens mit 11 Jahren, ich will Regisseur werden.
Und Sie haben mit 32 bereits drei erfolgreiche Filme gedreht: Wird Ihnen da nicht etwas schwummerig, zweifeln Sie manchmal, ob es so weitergeht?
Es hält sich doch alles im Rahmen. Die Filme liefen mit großer Publikumsresonanz im Kino, aber ich habe keinen Oscar... Ich denke auch nicht an operative Ziele, sondern versuche, möglichst ehrliche und emotionale Geschichten zu erzählen, die mich berühren, in der Hoffnung dass sie auch andere berühren. Ich bin selbst mein schärfster Kritiker, stelle immer in Frage, was ich mache und bin auch unsicher. Natürlich ist es jetzt leichter, Filme zu finanzieren. Ich hoffe, dass es so weitergeht.
"Nach dem Film fangen Leute an über die Geschichte ihrer Großeltern zu fragen"
Sind Sie Pragmatiker?
Wenn man als Regisseur oder Autor nicht pragmatisch und realistisch bleibt, verzettelt man sich schnell in Projekte, die nichts werden. Jahrelanges Herumdoktern, um dann mit 30 seinen ersten Film zu machen, das ist nichts für mich.
Was sollte der Zuschauer aus Ihrem Film "Der Fuchs" mitnehmen?
Bei Publikumsgesprächen erfahre ich die schönste Resonanz von jungen Menschen, die durch den Film anfangen, nach der Geschichte ihrer Großeltern zu fragen, vielleicht Verdrängungen aufbrechen, durch die Verletzungen wieder zur Sprache kommen. Es ist schön, wenn der Film sowas in Gang bringt.
Ihre Familie scheint eine Fundgrube für Filmgeschichten zu sein.
Jetzt widme ich mich erst einmal anderen Familien. Es war Glück und Schicksal, dass die Themen zweier Filme aus meiner Familie stammen. Im Herbst habe ich eine Kinokomödie mit einem Singer-Songwriter in der Hauptrolle abgedreht, der im Wiener Untergrundmilieu versucht, sein erstes Album fertigzustellen. Ist mal was Leichteres und Lustigeres.
"Der Fuchs" startet am Donnerstag in den deutschen Kinos.