Kino als Therapiestunde
Charlize Theron ist da. Und hat diesmal zwar nicht „Monster“-Mut zur Hässlichkeit bewiesen, aber wieder zum Extremen, was meistens auch nicht schön ist: In dem Drama „The Burning Plain“ spielt sie eine Frau, die nach einer Teenie-Schwangerschaft ihr Kind verlassen hat und sich nun rastlos durch Betten schläft, was sich als Verhärmung ins Gesicht gräbt.
Jetzt aber sitzt Theron strahlend in der Pressekonferenz, gibt kluge Antworten auf oft dumme Fragen und wird konkurrenzlos angehimmelt. Auch weil Kim Basinger aus „persönlichen Gründen“ nicht mitgekommen ist, die oscarverdächtig die Mutter von Theron spielt, eine Mittelklasse- Amerikanerin, die eine Affäre eingeht und das mit dem Leben bezahlt.
„The Burning Plain“ ist ein Drama zwischen der sengenden Wüstensonne an der USmexikanischen Grenze und der regenschweren Kühle Oregons. Es ist ein Drama um Schuld ohne Chance zur Sühne. Dass dennoch ein glückliches Ende in Sicht kommt, ist die große Erzählkunst des Debüt-Films von Guillermo Arriaga. Aber er ist kein wirklicher Neuling. Denn Amerika hat sich mit diesem Regisseur in der Kreativitätsblut saugenden Tradition als Einwanderungsland wieder die Kunst aus Mexiko geliehen, von einem Mann, der schon „Amores Perros“, „21 Gramm“, und „Babel“ für den mexikanischen Frischfleisch- Regisseur in Hollywood, Gonzales Inarritu, geschrieben hat. Und so haben in der Löwen- Gunst schon wieder die USA die Nase vorn.
"Wir lassen uns bewegen von Schicksalen "
„Warum haben die Menschen so viel Angst vor Schwächen?“, fragt Theron auf dem Podium im Palazzo del Casinò: „Das Kino hat die Chance, uns zu therapieren: Wir lassen uns bewegen von Schicksalen. Und immer finden wir Dinge und Lebensfragen, die uns selbst betreffen, egal, ob es im Spaß oder im Schmerz passiert, den ein Film erzeugt. Und das macht uns reifer und freier.“
Diese psychologische Kraft wäre global die große Stärke des Kinos. Dass das Petzolds deutschem Beitrag „Jerichow“, den europäischen und asiatischen Filmen bisher nicht gelungen ist, kann man dem US-Kino nicht vorwerfen. Auch nicht, dass viele Länder sich am Lido unterrepräsentiert fühlen – wie die Briten, die keinen Film im Wettbewerb landen konnten.
Vier der 21 Wettbewerbsfilme stammen aus Italien
„Dieses Festival ist keine Weltkarte“, hat Festival-Chef Marco Müller trotzig zum Vorwurf des gezielten Heimspiels gesagt: Vier der 21 Wettbewerbsfilme stammen aus Italien. Und zugegeben: Müller, der gerade mit dem Kulturminister den Grundstein für den neuen Palazzo del Cinema gesetzt hat, muss auf die Politik Rücksicht nehmen – und die denkt in Italien bei aller Provinzialität auch national. Der erste italienische Wettbewerbsbeitrag, „Un giorno perfetto – Ein perfekter Tag“ von Ferzan Özpetek, läuft am Samstag.
Und auch das beweist wieder, wie unsinnig nationale Einordnungen sind. Denn wie der Name Özpetek verrät, ist dieser Herr sozusagen der italienische Fatih Akin.
Adrian Prechtel
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