Kindergeburtstag und Größenwahn

Mit Schlingensiefs „Via Intolleranza II“ wurde der Pavillon am Marstallplatz eröffnet
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Mit Schlingensiefs „Via Intolleranza II“ wurde der Pavillon am Marstallplatz eröffnet

Ach Afrika! Nach einem halben Jahrhundert Entkolonialisierung schiebt man uns Europäern noch immer gern die Schuld an allen Mißständen zu. Überall regieren alberne, in die eigene Tasche wirtschaftende Diktatoren. Steuermillionen fließen in die Entwicklungshilfe, aber die Entwicklung bleibt aus.

Gegen dieses ewige Unbehagen helfen nur stärkste Mittel, wie sie ein Schlingensief-Abend bereithält. „Via Intolleranza II“ wehrt sich gegen Afrikas tragisches Chaos mit der Versöhnung von Avantgarde, Performance und Kindergeburtstag. Am Ende formuliert der Meister in einer längeren Ansprache die befreiende Botschaft persönlich: Verabschiedet euch vom Gutmenschentum! Projiziert eure Sehnsüchte nicht auf den schwarzen Kontinent! Wenn ihr spendet, dann ohne Vorbehalte und am besten dafür, dass junge Afrikaner singen oder Filme drehen können!

Unwiderstehlich

Schlingensief meint alles total ernst, zieht es aber zugleich durch den Kakao. Das macht ihn unwiderstehlich. Zudem beherrscht er mittlerweile die Kunst des intelligenten Versprechers wie der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Weil der Nahost-Konflikt genauso nervt wie Afrika, wird Henning Mankells divenartiges Gehabe bei der Gaza-Flotille nebenbei miterledigt. Eine absichtsvoll geschmacklose Szene veralbert auch die unter politisch korrekten Afrika-Fans geläufige Gleichsetzung kolonialistischer Völkerschauen mit der Shoah.

Einen roten Faden bildet die Idee, dass es kein Glück ohne Scheitern gibt. Die getanzten, gesungenen und gemimten Szenen wurden von Filmbildern überlagert, die überwiegend aus einem hochpathetischen Stummfilm nach Dantes „Göttlicher Komödie“ stammen, was sowohl Schlingensiefs Größenwahn wie dem Grauen des Kontinents angemessen schien.

Unter den internationalen Selbstdarstellern bezauberten vor allem der wie ein Rumpelstilzchen tanzende ältere Herr mit der Diktatorenschärpe sowie ein 12-Jähriger aus Burkina Faso, von dem immer mal wieder behauptet wurde, er sei eigentlich 32 und suche eigentlich eine Frau. Beides könnte stimmen, aber bei Schlingensief wird jede Wahrheit relativ. Es gibt sowieso sonst in der Kunst zu viel davon. Dieser geniale Abend trägt dazu bei, sich diese Einsicht wieder in Erinnerung zu rufen. Schade nur, dass alle Vorstellungen ausverkauft sind und die Erfahrung dieses Abends auf eine winzige Minderheit beschränkt bleibt.

Robert Braunmüller

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