Keine Eiskrem zum Hering

Für das Theaterfestival SpielArt inszeniert der berühmte lettische Regisseur Alvis Hermanis an den Kammerspielen „Späte Nachbarn“, zwei Geschichten von Isaac Bashevis Singer
von  Abendzeitung

Für das Theaterfestival SpielArt inszeniert der berühmte lettische Regisseur Alvis Hermanis an den Kammerspielen „Späte Nachbarn“, zwei Geschichten von Isaac Bashevis Singer

Lettlands Theatermann Nr.1 ist seit 2003 auch im Westen ein hochgehandelter Regiestar. Alvis Hermanis und sein Neues Theater Riga zeigten bei den Salzburger Festspielen das umjubelte Gastspiel „The Sound of Silence“ , beim Theaterfestival SpielArt war Hermanis schon zwei Mal zu Gast. Jetzt inszeniert er in Koproduktion mit SpielArt erstmals an den Kammerspielen: „Späte Nachbarn“, zwei Geschichten des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer. Heute ist Premiere.

AZ: Herr Hermanis, erst im April 2009 haben Sie in Köln „Die Geheimnisse der Kabbala“ von Isaac Bashevis Singer inszeniert. Was fasziniert Sie so an diesem Autor?

ALVIS HERMANIS: Singer spricht sehr simpel und lakonisch über essenzielle Dinge des Lebens. Er stammt ja aus Osteuropa und emigrierte 1935 in die USA. Mich fasziniert, wie osteuropäische Juden Geschichten erzählen können, als Tragödie und Komödie gleichzeitig. In München hatten wir ursprünglich für ein eigenes Stück über Prototypen älterer Menschen recherchiert. Dann merkte ich, dass alles, was ich in der Realität suchte, in Singers Geschichten schon existierte.

In „Späte Liebe“ lernt ein jüdischer Rentner eine neue Nachbarin kennen, in „Die Séance“ pflegt ein alter Herr Kontakt mit einer Geisterbeschwörerin. Beide Geschichten werden von André Jung und Barbara Nüsse gespielt – gibt es eine Verbindung?

Ich glaube an Details. Im Theater abstrakt zu sein, heißt oberflächlich zu sein. Man muss präzise sein, um den Kontext zu zeigen. Präzision hypnotisiert das Publikum wie Kaninchen. Unser Markenzeichen ist das Interesse am privaten Raum, wo die Menschen ihr privates Leben leben. Unserer Bühnenbildnerin Monika Pomale hat Hunderte von Requisiten und Objekten gesammelt und baut solche Wohnungen nach.

Dennoch haben Sie keinen festgelegten Stil.

Ich kann nicht nur mit einer Ästhetik arbeiten. Man kann nicht verschiedene Türen mit demselben Schlüssel öffnen. Man isst ja auch nicht Hering mit Eiskrem. Ich bewundere Regisseure, die im selben Stil Ibsen und Goldoni inszenieren können. Ich nenne das die Monty-Python-Methode. Wenn man die für William Shakespeare benutzt, wird es flach. Das kann lustig sein, aber es ist immer Monty Python. Man steigt nicht tiefer in die Poesie ein. Aber jede Musik, jeder Text hat eigene Bilder.

Ihre Arbeiten in Riga haben immer mit der Stadt zu tun.

Theater ist eine Pflanze, die ihre Wurzeln im lokalen Kontext hat. Gutes Theater handelt immer von seiner Zeit, vom Hier und Jetzt. Nur ein Theater, das verbunden ist mit den Menschen am Ort, kann auf lange Sicht ernsthafte Resultate hervorbringen.

Sie haben mal gesagt, Theater solle nicht politisch sein.

Das war ein Missverständnis. In Deutschland versteht man unter politischem Theater etwas anderes als in Osteuropa: Bei uns meint das Ideologie. Und weil meine Generation ihr halbes Leben im Kommunismus verbracht hat, sind wir allergisch gegen Ideologien und Politik im Theater. Aber Kommunismus oder Kapitalismus, das sind nur Blasen an der Oberfläche. Das Verhalten der Menschen gründet viel tiefer, es ist nicht politisch. Ich bin als Regisseur altmodisch: Mir geht es nicht um intellektuelles Theater, sondern um Emotionen. Die Leute sollen lachen und weinen.

Gabriella Lorenz

Werkraum, heute, 1., 2., Dez., 19.30 Uhr (ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.