"Kein Schuss zu viel"

Regisseur Uli Edel über das Polit-Drama „Der Baader Meinhof Komplex“, gescheiterte Träume der 68er und den Terrorismus der RAF.
von  Abendzeitung

Regisseur Uli Edel über das Polit-Drama „Der Baader Meinhof Komplex“, gescheiterte Träume der 68er und den Terrorismus der RAF.

Zehn Jahre hochdramatische deutsche Zeitgeschichte, vom Beginn der Roten Armee Fraktion (RAF) 1967 über die Republik erschütternde Terror-Aktionen bis zur Hinrichtung des entführten Hanns Martin Schleyer im Oktober 1977, komprimierten Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger (nach dem Buch von Stefan Aust) und Regisseur Uli Edel in „Der Baader Meinhof Komplex“ (Kinostart am Donnerstag). 150 Minuten Überwältigung, rasant montierte Bilder, großartige Schauspieler (Moritz Bleibtreu als Andreas Baader, Martina Gedeck als Ulrike Meinhof, Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin).

AZ: Herr Edel, Sie arbeiten seit 1990 meist in den USA. Warum haben Sie dieses Monsterprojekt angepackt?

ULI EDEL: Als Bernd mir 2006 die Regie anbot, dachte ich sofort: Wer soll diese Erinnerungsarbeit sonst machen? Da geht es um unsere Zeit, unsere Generation. Ich studierte 1968 an der Uni München Theaterwissenschaft und Germanistik, rannte auf Demos, war eine Art Revolutionsromantiker und fasziniert von der 68er-Bewegung, der Auflehnung gegen autoritäre Strukturen. Bernd lernte ich 1970 auf der Filmhochschule kennen, da hatte ich die Prüfung schon bestanden. Als 1972 die ersten Bomben explodierten, Menschen starben, war bei mir Schluss mit jeder Revolutionsromantik. Es war eine extrem aufgeladene Zeit, und diese Gefühle wollte ich mit in den Film bringen. Obwohl es hier hauptsächlich um Fakten geht, aber eben auch um gescheiterte Träume und Hoffnungen.

Und um möglichste Authentizität. Das ist gelungen.

Ein Hauptmotiv für mich war auch: Ich wollte mit dem Film meinen Söhnen, 20 und 21 Jahre alt, aufgewachsen in Los Angeles, zeigen, was ich weiß von dieser Zeit. Es gibt nichts zu beschönigen, wenn Idealismus abdriftet in die Katastrophe, in die größte Tragödie deutscher Nachkriegsgeschichte. Mein Vater hat nie über Nazi-Deutschland gesprochen, viel verdrängt. Das Schweigen war schlimm, aber üblich in dieser Generation. Dieses Schweigen wollte ich meinen Söhnen nicht antun, und damit wusste ich, wie ich den Film angehen muss.“

Was waren besonders emotionale Momente für Sie bei den Dreharbeiten?

Zum Beispiel die fast dokumentarischen Bilder von den Protesten gegen den Schah in Berlin am 2. Juni 1967. Es gab keine Gewalt von Seiten der Studenten, aber Brutalitäten seitens der Schah-Anhänger und Polizei. Der tödliche Schuss eines Polizisten auf den Studenten Benno Ohnesorg war der Beginn der Radikalisierung. Für die legendäre Rede Rudi Dutschkes 1968 gegen den „Völkermord in Vietnam“ an der Berliner TU vor tausenden Studenten hatte ich im Film etwa eine Minute Zeit, aber diese Szenen haben mich sehr angepackt. Oder die, wie der von einem Rechtsradikalen angeschossene Rudi Dutschke, den Sebastian Blomberg so authentisch spielt, auf der Straße taumelt. Solche Bilder kann man nicht nur mit Rationalität und Technik rüberbringen.

Wie haben Ihre Söhne reagiert?

Sie haben den Rohschnitt gesehen, waren völlig fassungslos, fragten: Ist das wahr, was da geschehen ist in Deutschland? Dann haben sie im Internet weitergeforscht. Da wusste ich, der Film kann auch jungen Leuten etwas vermitteln, Zusammenhänge erklären. Die RAF-Geschichte geht ja weiter, vieles ist noch nicht aufgeklärt, bewältigt.

Ulrike Meinhofs Tochter Bettina Röhl hat im Internet-Forum von „Die Welt“ ein seitenlanges Hasspamphlet geschrieben, den Film eine „Hommage an die RAF“ genannt.

Ich kann mich nur wundern, dass man solchen Tiraden ein öffentliches Forum gibt. Ich hatte Meinhofs Tochter kontaktiert, in unserem etwa einstündigen Gespräch sagte sie immer wieder, diesen Film könne man nicht in Deutschland und mit deutschen Schauspielern machen, sondern nur mit Hollywood-Stars – als Familiengeschichte im Stil von „Dr. Schiwago“, mit einer ihr nachempfundenen Hauptfigur. Da sehen Sie, wie diese Frau tickt.

Angesichts der vielen tragischen Fakten und Figuren verliert man als Zuschauer leicht den Überblick.

Das geht auch gar nicht anders. Es gibt 123 Sprechrollen, keine Identifikationsfigur und keinerlei RAF-Mythologisierung. Aber über Bilder in allen Medien entstehen ja Mythen, im Fall der RAF sind die 40 Jahre alt. Wir haben die kollektive Erinnerungsschublade aufgemacht und ganz genau hingesehen, was drin ist. Diese Art der Aufarbeitung ist ein Schlüssel, das soll der Film beim Publikum erreichen. Ohne Psychologisierung. Seit Aristoteles wissen wir: Charakterisierung gibt es nicht, der Mensch zeigt seinen Charakter, wenn er agiert. Wir sind, was wir tun – nicht, was wir reden.

Mit welchen Publikumsreaktionen rechnen Sie?

Mit dem Vorwurf, dass es nicht um die Opfer der RAF sondern um die Täter, um Fakten geht. Aber das ist das Thema. Manchmal nimmt die Kamera die Perspektive der Opfer ein, deren Blick auf die brutalen Überfälle. Und was wie Action-Dramaturgie aussieht, hat sich so ereignet. Wir zeigen keinen Schuss zu viel, auf die Opfer wurden ganze Magazine leergeballert.

Diese Gewalt-Orgien sind schwer zu ertragen.

Einige RAF-Leute wurden im Jemen zu terroristischen Kämpfern ausgebildet, danach schossen sie auf Menschen wie auf Objekte, der Feind musste unschädlich gemacht werden. Sie fühlten sich in einer Gefechtssituation, da ist Töten erlaubt. Das war die totale Verachtung menschlichen Lebens.

Ist dieser Film für Sie eine Rückkehr nach Deutschland?

Ja, und ich will noch einen hier machen. Meine Familie kommt mich dann besuchen, sie ist sehr neugierig auf München.

Angie Dullinger

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