Kafka statt Wiesn
Was die Münchner Kulturszene als Kontrastprogramm zum Oktoberfest bietet.
Kein Datum fürchten Kulturveranstalter so wie das Oktoberfest. Zwar geht der Münchner dort bekanntlich gar nicht hin, aber anzutreffen ist er dann doch eher im Bierzelt als im Konzertsaal. Deshalb ist die Wiesn-Zeit normalerweise die kulturell stade Zeit. In diesem Jahr allerdings gibt es etliche Gründe, den Vorsatz, die Wiesn den Italienern, Asiaten, Aussies und Amis zu überlassen, endlich einmal in die Tat umzusetzen.
POP
So einen Aufmarsch der Superstars hat München das ganze Jahr nicht erlebt. Fünf Abende lang ist die Olympiahalle in der Hand der Pop-Giganten: Den Auftakt machen R.E.M. (23. September), dann folgen Bryan Adams (24.), Stevie Wonder (25.), Coldplay (26.) und Survivor (27.). Und am 1. Oktober wird Brian May mit Queen ewig unverwüstliche Hits in der Olympiahalle anstimmen. Ob sie alle nur kommen, um ihre München-Konzerte mit einemWiesn-Abend zu verschönern?
Klassik
Auch die Münchner Opernhäuser bieten heuer der Blasmusik Paroli. Am zweiten Wiesnsamstag eröffnet das Gärtnerplatztheater feinsinnig mit „Die Schärpe und die Blume“ des Multi-Genies E.T.A. Hoffmann die zweite Saison unter Ulrich Peters. Im Nationaltheater startet die Ära Nikolaus Bachler am 2. Oktober mit Verdis Shakespeare- Schlachtplatte „Macbeth“ in Martin Kušejs Inszenierung. Am gleichen Tag beginnt Mariss Jansons mit dem BR-Symphonieorchester im Herkulessaal einen schwergewichtigen Beethoven-Zyklus, während die Münchner Philharmoniker unter Peter Eötvös im Gasteig den Varése-Kracher „Arcana“ wuchten, dessen 16 Schlagzeuger mühelos Bierzeltlautstärke erreichen.
Theater
Mit einem schweren Brocken eröffnen die Kammerspiele die neue Saison. Andreas Kriegenburg inszeniert eine Dramatisierung von Franz Kafkas berühmtem Roman „Der Prozess“. Gleich acht Schauspieler verkörpern den Bankbeamten K., der an seinem 30. Geburtstag aus unerfindlichem Grund verhaftet wird und in quälender Ungewissheit, wie er sich schuldig gemacht habe, seinen Prozess erwartet. Premiere ist am 25. September. Um die Frage, was Recht ist, geht es auch im Kammerspiele- Thementag „Brandherde: Geschieht dir recht“ am 27. mit Theaterinstallationen, einer öffentlichen Haushaltsdebatte und Vorwahlparty. Im Dschungel der Paragraphen verirren sich auch drei Sozialarbeiterinnen in Felicia Zellers preisgekröntem Stück „Kaspar Häuser Meer“. Lars-Ole Walburgs Inszenierung kommt am 3. Oktober, kurz vor Wiesn-Ende, im Werkraum heraus. Und im Volkstheater bietet am2. Oktober Johann Wolfgang von Goethe „Faust“ dem Oktoberfest die Grübel-Stirn.
Kabarett
Das ist immer eine unterhaltsame Alternative zum Bierund Jahrmarktsrummel. Lachund Schießgesellschaft, Lustspielhaus, Drehleier, Fraunhofer- Theater und Heppel & Ettlich ziehen ihr vielseitiges Programm unbeirrt durch.
Lesungen
Auch das Münchner Literaturhaus trotzt der Bierseligkeit mit einem erlesen hochgeistigen Programm: André Heller stellt am 22. September im Gespräch mit Henryk M. Broder sein neues Buch vor, Franziska Augstein präsentiert ihre Biografie über Jorge Semprún zusammenmit diesem am1. Oktober. Und Rafael Chirbes, der derzeitwohl wichtigste spanische Autor, stellt seinen neuen Roman „Krematorium“ am 2. Oktober vor.