Kästner: Die vielen Ichs des E.K.

Die Ausstellung „Gestatten, Kästner!“ im Literaturhaus München erzählt vom vielschichtigen Leben des Schriftstellers
von  Philipp Seidel

Die Ausstellung „Gestatten, Kästner!“ im Literaturhaus München erzählt vom vielschichtigen Leben des Schriftstellers

Die Schublade bringt es an den Tag: Während die Öffentlichkeit Erich Kästner in den NS-Jahren als Verfasser von Unterhaltungsliteratur wahrnahm, arbeitete er – sprichwörtlich für die Schublade – auch an schweren, teilweise düsteren Stoffen.
Zeitungsausschnitte und Notizen, aus denen der Roman „Der Doppelgänger“ hätte werden sollen, zeigen eine Facette Kästners, die man ihm nicht gleich zuordnen würde: Es geht um Identitätssuche, Selbstmord. Das Spiel mit den Pseudonymen, die Selbstvermarktung des Autors, auch als Figur in seinen Büchern – wie belastend war das alles für Kästner? In „Briefen an mich selber“ schreibt er von einer Entfremdung.
Und so ist die ganze Ausstellung im Literaturhaus: „Gestatten, Kästner!“ (Gestaltung: Costanza Puglisi und Florian Wenz) zeigt die bekannten Seiten des Schriftstellers, fügt aber immer Neues hinzu. Sechs Kuben stehen für sechs Stationen im Leben Erich Kästners. Man kann durch sie hindurchgehen wie durch die Straßen einer Stadt – ein Motiv, das sich durch Kästners Werk zieht.

Die ganze Lebensspanne in sechs Vitrinen, Durchgängen und Schaukästen

Auf den Seitenflächen der großen Würfel, die zur Raummitte hin stehen, flimmern Bilder: Ausschnitte aus Kästner-Verfilmungen, Straßenszenen, historische Aufnahmen. In die Außenseiten sind Vitrinen eingelassen. Hier wird es handfest: Briefe, Notizen, Fotos und allerlei sonstige Dokumente erzählen von Kästners Leben, die zweite Vitrine gewährt als „Denkraum“ Einblicke in die Befindlichkeit des Autors.
Die Schau der Kuratorinnen Karolina Kühn und Laura Mokrohs zeichnet Kästners ganze Lebensspanne nach. Zunächst habe man überlegt, den Fokus auf Kästners Münchner Jahre zu legen – immerhin hat er die letzten 30 Jahre seines Lebens hier verbracht. Die Idee wurde dann aber verworfen zugunsten des großen Bildes.
Die Kindheit und Jugend verbrachte Kästner, geboren am 23. Februar 1899 in kleine Verhältnisse hinein, in Dresden. Die enge Beziehung zur Mutter ist bekannt. Sie kommt im Werk immer wieder vor. Weniger bekannt war, dass Kästner nach dem Tod der Mutter 1951 einen intensiven Briefwechsel mit seinem Vater aufnahm, der zuvor kaum vorkam, sagt Kuratorin Laura Mokrohs.
Früh wollte Kästner hoch hinaus, früh wollte er Lehrer werden – hervorragende Noten hätten es ihm erlaubt, sich am Lehrerseminar auch ohne Abitur ausbilden zu lassen. Er entschied sich nach der Zäsur des Ersten Weltkriegs aber für ein teures Studium in Leipzig.

Schreibrausch und die Frage, wer bin ich?

Die Jahre 1919 bis 1927 sind mit „Schreibrausch und Identitätssuche“ betitelt: Kästner studierte und schrieb, „von rasendem Eifer getrieben“, für immer mehr Zeitungen. Nach seinem Rauswurf bei der „Neuen Leipziger Zeitung“ zieht Kästner nach Berlin.
Die Berliner Jahre zwischen 1927 und 1933 wurden seine produktivsten und erfolgreichsten. Kästner erweiterte, befeuert von der Moderne der Großstadt, sein künstlerisches Spektrum beträchtlich. Bald war er in allen Medien zu Hause: Für Zeitungen schrieb er Kritiken, Feuilletons und Reportagen, er verfasste auch Texte fürs Kabarett und arbeitete bald auch fürs Radio. 1929 erschien sein erster Kinderroman „Emil und die Detektive“, zu dem es bald auch einen Film und sogar ein Brettspiel gab – Kästner wurde zum genialen Selbstvermarkter. In die Berliner Jahre fielen auch der Erwachsenen-Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ und der zweite Kinderroman „Pünktchen und Anton“ (beide 1931).
Unter den Nazis wurde es für Kästner immer schwerer, seine Werke zu veröffentlichen. Er wollte aber in Deutschland bleiben, unter anderem, um später den großen Roman über die Nazi-Zeit zu schreiben – es sollte ihm nie gelingen.
Verleger Kurt Maschler gründete in der Schweiz eigens für Kästner den Atrium-Verlag, um seine Werke im Ausland weiterhin veröffentlichen zu können. Der 80. Geburtstag des Verlags in diesem Jahr gab auch den Anstoß für die Ausstellung im Literaturhaus. Sie wurde eigens für München konzipiert, sagte Literaturhaus-Leiter Reinhard Wittmann.

Im Herzogpark

München – zunächst Fuchsstraße 2, später Flemingstraße 52 – war nach dem Krieg Kästners Heimat bis zu seinem Tod am 29. Juli 1974. In der Nachkriegszeit war Kästner Feuilletonchef der „Neuen Zeitung“, Präsident des westdeutschen PEN-Zentrums und setzte sich besonders für Kinder und Jugendlichen ein. Auf ihnen ruhte seine Hoffnung. So unterstützte er die Gründung der Internationalen Jugendbibliothek in der Blutenburg.
Gestreift wird in der Ausstellung auch Kästners nicht ganz umkompliziertes Liebesleben – aber das wäre ein Kapitel für sich.   

bis 14. 2., Literaturhaus, Salvatorplatz (Mo–Fr, 11–19 Uhr, Sa/So 10–18 Uhr), 5 / 3 Euro

 

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