Jugend im Scherbenviertel
„Knowle West Boy“: Trickys neues Album räumt mit den üblichen Underdog-Klischees auf
Es gibt Stadtteile, die legen sich wie Fesseln um dich. Wer sich aus ihnen herausgescheuert hat, scheut meist den Blick zurück. „Knowle West Boy“ heißt das neue Album von Tricky. Knowle West in Bristol ist keine Gegend, der man Platten widmet. Dass Tricky es trotzdem tut, hat nichts mit Ghetto-Chic zu tun. Und vielleicht ist das einer der feinen Unterschiede zwischen TripHop und HipHop.
„Puppy Toy“, der erste Song, schraubt sich von einem Tom Wait’schen Bar-Blues in einen wuchtigen Heavy-Rock-Sound mit jaulender Blues-Harp. Tricky taugt nicht für die Vermarktung als Ghetto-Boy mit Knarre im Hosenbund, denn sein Blick auf die eigene Herkunft ist zu sehr geprägt von widersprüchlicher Liebe, als dass er sich von Underdog-Klischees korrumpieren ließe. Im Gegenteil ist das kulturelle Gemisch von Knowle West so verwirrend komplex, dass es sich nicht über Texte, sondern fast ausschließlich über den Sound vermittelt. Streicher, Harfentöne: Trickys Instrumentarium ist nicht das Waffenarsenal der Straße.
Und dieser Culture-Clash zwischen Weiß und Schwarz mit vielen Hauttönen dazwischen hat nicht die wabernde Gefälligkeit esoterischer Toleranz, es sind die aggressionsgeladenen Spannungen, die den Tricky-Sound ausmachen. Pizzicato-Streicher und eine über das Volume-Pedal angesteuerte Gitarre begleiten in „Bacative“ die harten Ragga-Vocals des Sängers. „Revolution won’t be televised“ heißt es in „Coalition“. Die Sentenz ist ein Black-Panther-Aktivisten-Zitat, ursprünglich zu finden auf Gil Scott-Herons Album „Small Talk at 125th and Lenox“ von 1970.
„Past Mistake“ – es gibt Momente, in denen die Erinnerung hinter dem Schleier von Orchester-Samples tanzt, Während eine klare Frauenstimme von der Liebe singt. Als streckenweise fast unmerklicher drohender Begleitklang funktioniert Trickys Stimme, die die schabenden, kratzenden Worte aus der astmatischen Lunge presst – ein faszinierend ungesundes Timbre, viel mehr Geräusch als reine Schwingung. Auch wenn Portishead mit einem neuen Album zurückgerkehrt sind, muss man nicht von TripHop-Renaissance sprechen. Tricky ist zu individuell, um ein Genre zu retten: Der Soul, den dieses Album hat, ist aus dem Schmerz herausgewachsen, hat ihn aktiv in Inspiration verwandelt.
Christian Jooß
Tricky: „Knowle West Boy“ (Domino)
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