"Judenlager Milbertshofen": Wo jetzt Gras wächst

Dieses Mahnmal ist ein Skandal. Gleich bei einem der Ausgänge der U-Bahnstation "Am Hart" stehen jede Menge abgestellter Fahrräder um ein Baumgeäst aus Bronze. Kaum etwas deutet darauf hin, dass hier ein Ort des Grauens war. Vom Sammellager Milbertshofen aus, das von Juni 1941 bis August 1942 existierte, wurde ein Großteil der jüdischen Bevölkerung Münchens deportiert.
Gedenken - auf kreative Weise
Die meisten nach Kaunas in Litauen zum sofortigen Genickschuss. Acht Jahrzehnte ist das nun her. Aktuelle Erkennbarkeit: gleich null. Mit der Initiative "Spielen in der Stadt e. V." wollen Münchner Jugendliche in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum an das Schicksal gleichaltriger Kinder und deren Familien von damals erinnern. Und das auf kreative, sehr lebendige Art und Weise, durch Bewegung und körperliches Spiel.
Sie haben Gedenkstätten, Ausstellungen und Theaterstücke besucht, Zeitzeugen befragt, in Archiven recherchiert, Texte geschrieben und gelesen, sind gegangen, gefallen, haben getanzt, gespielt, ein- und ausgegrenzt. Teile der vorab gefilmten Aktionen und Beiträge werden während der Aufführung projiziert.
Die Spurensuche im Theaterstück verarbeiten
Eine elfköpfige Gruppe hat sich hierfür ein halbes Jahr lang unter professioneller Anleitung zusammengefunden. Im Sommer fand die Spurensuche beim Tanz- und Theaterfestival "Rampenlichter" ihren Abschluss. Das eindrückliche Stück "Um 2 Uhr nochmal Kaffee" wird nun noch einmal vom Ensemble "Let the stones scream" aufgeführt.
Anlass ist der 80. Jahrestag des ersten Deportationszugs am 20. November 1941. Begleitet wurden die jungen Akteure von Dorothee Janssen (Regie, Choreografie), dem Filmregisseur Julian Monatzeder und inhaltlich von Thomas Rink, einem Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums.
Hoffnungslose Schreie in Milbertshofen
Einer der wenigen Überlebenden - seinerzeit neun Jahre alt - hat ihnen berichtet, dass er solche Verzweiflungsschreie, dieses gar nicht beschreibbare, hoffnungslose Schreien der Menschen im sogenannten "Judenlager Milbertshofen" nie wird vergessen können: "Es klingt in meinen Ohren, ist einfach immer noch da, als ob es vorige Woche gewesen wäre."
Heute befindet sich dort ein Gebäude, das zum BMW-Komplex gehört. Als Teil ihres Tanztheaterprojekts haben die aus sieben verschiedenen Schulen der Landeshauptstadt stammenden Mädchen und Jungen zwischen 15 und 20 Jahren die ehemalige Kinderbaracke auf dem Werksgelände mit Absperrbändern markiert, um sie zumindest so auf Zeit in ihrer beengten Dimension wieder sichtbar zu machen.
Ein gelungenes Projekt
Wie aus der künstlerischen Auseinandersetzung der Jugendlichen mit dem Zeitzeugen Ernst Grube und seiner Biografie eine Aufführung wurde, ist etwas Besonderes. Es ist ein gelungener Versuch, dem Vergessen und Verdrängen einen Ort des Schreckens zu entreißen - mit Hilfe der berührenden Erinnerung eines der wenigen noch verbliebenen Holocaust-Überlebenden.
"Wir brauchen die Erinnerung an diese Menschen"
Beim gemeinsamen Besuch stellte Ernst Grube treffend fest: "Hier, am Standort der ehemaligen Kinderbaracke wächst jetzt Gras - und damit auch Leben. Aber nicht die Baracke muss leben, die Menschen müssen es - selbst wenn sie alle tot sind. Wir brauchen die Erinnerung an diese Menschen. Allerdings finden wir diese Erinnerung über die Orte. Insofern sind die Orte so wichtig."
Unwissenheit ist für jede Gesellschaft ein gefährlich wunder Punkt. Denn wenn Gras auch Leben bedeutet, heißt dies noch lange nicht, dass Gras über das Grauen wachsen darf.
Am 21.12. um 18 und 20 Uhr im neuen Schwere Reiter (Dachauer Str. 114). Tickets: 18 / erm. 10 Euro. Begrenzte Platzanzahl, 2G plus, Reservierung notwendig: www.schwerereiter.de