Josef Hader über "Andrea lässt sich scheiden"
Der Kabarettist, Schauspieler, Autor und Filmemacher nimmt in seiner zweiten Regiearbeit nach "Wilde Maus" mit auf eine Reise ins Herz der Provinz, eine lakonisch-bissig-menschliche Milieustudie über Befindlichkeiten, Zufälle und verpasstem Glück. In "Andrea lässt sich scheiden" glänzt ein fulminantes Außenseiter-Duo: Birgit Minichmayr als Polizistin, der ihr betrunkener Noch-Ehemann vors Auto läuft und die in Panik Fahrerflucht begeht. Und Hader als "trockener" Alkoholiker und Religionslehrer, der glaubt, der Schuldige zu sein, "büßen" will und schnell wieder zu trinken anfängt. Ein furioses Fest von Humor und Melancholie.
AZ: Herr Hader, Sie sind schon mit 20 aus der Provinz geflohen. Kann man die einfach so abschütteln?
JOSEF HADER: Man soll sie gar nicht abschütteln, weil sie einem auch gute Dinge mitgibt. Ich bin beispielsweise ein Dickschädel aufgrund meiner Herkunft, ich habe einen bäuerlichen Trotz und die Tendenz, mich auf mich selbst zu verlassen, nicht auf andere. So wird man zum Beispiel Solokabarettist. Die Großstadt hat mich aber schon als Kind angezogen. Bei Besuchen bei einer Tante in Wien war ich schon mit fünf Jahren begeistert von den Straßenbahnen und Rolltreppen in den Großkaufhäusern. Damals hab ich mir schon vorgenommen, in Wien zu wohnen.

Was halten Sie von dieser "Zurück-aufs-Land"-Nostalgie, den Traum von der dortigen schönen und heilen Welt?
Wer allein unter diesen Voraussetzungen rauszieht, wird es schwierig haben. Aber es gibt für manche sicherlich gute Gründe, aufs Land zu ziehen. Aufgrund meiner Biografie bin ich aber lieber nur auf Besuch dort.
Wegen der sozialen Kontrolle auf dem Land?
Das ist sicher ein Grund für mich. In der Stadt kann man viel anonymer und unbemerkter leben. Die Enge des Zusammenlebens mit den Nachbarn in einem Ort, das wäre mir zu viel. Da kann man sich nie aussuchen, wen man trifft, und entwickelt natürlich dementsprechend bestimmte Vermeidungsstrategien, verbiegt und verkrampft sich. In der Stadt kann ich mir die Leute mehr aussuchen. Man muss aber aufpassen. Im schlechtesten Fall umgibt man sich dann nur mit Menschen derselben Meinung und schottet sich in seiner Blase ab. Dann wird man deformiert von der Stadt, sowas ist auch nicht gut.
Ist das Morbide der Geschichte typisch österreichisch?
Eigentlich nicht. Ich habe extra nach einer Gegend gesucht, die nicht das Klischee von Österreich bedient. Diese abgehängte Provinz ist ja etwas, was international ist, und ich könnte mir vorstellen, dass bestimmte Situationen jederzeit auch in Norddeutschland stattfinden können, wo die Leute ja öfters genauso mundfaul in der Wiese herumstehen wie in meinem Film. Dort gibt es auch einen schwarzen, trockenen Humor, das ist kein so großer Unterschied zu Ostösterreich. Diese überforderten Männer, diese Frauen, die sich gegen die Männerwelt durchsetzen müssen, das könnte man von Brandenburg über Nordfrankreich bis nach Nebraska erzählen.

Gehört der von Ihnen gespielte Religionslehrer Franz Leitner zu den Prototypen der "alten weißen Männer"?
Der Franz ist kein Prototyp, dazu ist er viel zu kaputt. Der klassische alte weiße Mann steht noch in einer gewissen Blüte, leidet unter Bluthochdruck, trinkt trotzdem weiter eine Flasche Wein am Abend, erklärt allen, wie die Welt ist, und möchte Deutungshoheit bis ins Grab.
Sehr seltsame Geschöpfe.
Es gibt tatsächlich Männer, die im Laufe des Lebens immer weniger Gespür entwickeln für ihre Umgebung. Das betrifft gern auch Künstler oder Fernsehleute. Menschen, die ein Leben lang gewohnt sind, dass alle sie toll finden und ihnen zuhören. Die wenig über Selbstkritik verfügen, dafür über mehr Narzissmus als üblich. Diese Spezies kann zu einer Plage werden. Ich war selber schon in der Volksschule Opfer toxischer Männlichkeit. Weil ich immer der war, der von der Peergroup verdroschen wurde. Ich war ein Einzelkind und konnte mit Gleichaltrigen nicht viel anfangen.
Wie viel Religionslehrer Franz steckt in Ihnen selbst?
Nicht besonders viel. Inspiriert hat mich ein ehemaliger Mitschüler, der Religionslehrer geworden ist. Vielleicht wäre es eine mögliche Biografie von mir, wenn ich irgendwann falsch abgebogen wäre. Ich bin sozial etwas unterentwickelt, sehr empfindlich und trotzig. Da könnte man in die Einsamkeit rutschen, wenn man nicht aufpasst. Als Kabarettist ist man aber immer unter Leuten. Deswegen habe ich eine gewisse Hoffnung, dass es mir nicht passieren wird.

Gehört die Melancholie zum Älterwerden oder ist das eine Flucht aus der Gegenwart?
Melancholie ist grundsätzlich etwas Gutes. Der Franz ist eigentlich ein guter Mensch, vielleicht zu gut für diese Welt. Er hat sich mit Alkohol quasi eine dickere Haut angesoffen. Und lebt in einer gewissen Freiheit, weil niemand etwas von ihm erwartet. Das kommt uns vielleicht traurig vor, aber ob es für ihn auch so traurig ist? Vielleicht ist es genau das richtige Leben für ihn, wer weiß.
Sind Sie pessimistisch?
Nicht ernsthaft. Ich male mir alles schlimm aus, in der Hoffnung, es wird nicht so kommen. Und dann kommt's auch nicht so schlimm. Das funktioniert bis jetzt ganz gut. Die Satire ist auch eine Waffe, selber mit der Welt klar zu kommen, dieser Witz hilft einem selber ja auch.
Verzweifeln Sie nicht manchmal angesichts der Weltlage?
Ich verzweifle nicht an der Welt, weil ich für die nicht verantwortlich bin. Wir hatten im Kloster Melk einen sehr modernen Religionsunterricht mit Sartre und Camus. Seither schaue ich eher existenzialistisch auf die Welt. Komischerweise macht mich das sehr resilient und gleichzeitig aktiv. Ich kämpfe auch für Dinge, die mir wichtig sind, trete für etwas ein. Aber nicht mit der Erwartung, dass es viel hilft.
Es gab vor wenigen Woche Großdemonstrationen gegen rechts. Ist das mehr als die Beruhigung des Gewissens, vielleicht ein wirklicher Aufbruch?
Das könnte beides sein. Man gibt sich das Gefühl, etwas getan zu haben, aber man hat ja auch etwas getan, hat gemeinsam - egal bei welchem Wetter - demonstriert. Das macht etwas mit uns, und wenn man nur dabei und am nächsten Tag einige Gespräche führt, die man sonst nicht so geführt hätte.
Spielt da nicht auch eine neue Bekenntniskultur mit?
Das gab's ja immer schon. Das ist wie früher mit der katholischen Messe. Moral dient gerne zur Selbstvergewisserung und nicht vorrangig dazu, ein besserer Mensch zu werden. Das ist so, seit es Menschen gibt. Der Mensch mit seinen Schwächen kann kein Argument sein, etwas nicht zu tun. Sonst müssten wir alles bleiben lassen und wie Franz im Haus sitzen.
Gehen Sie auch auf die Demos?
Natürlich. Ich mache das nicht dauernd, aber wenn ich wirklich überzeugt von etwas oder gegen etwas bin, dann möchte ich meine Meinung auch zum Ausdruck bringen, egal ob durch ein Zeitungsinterview oder durch die Teilnahme an einer Demo. Die Möglichkeit sollte jeder Bürger und jede Bürgerin wahrnehmen. Das ist Sauerstoff für unsere Demokratie.
Befürchten Sie nicht eine Erosion der Gesellschaft, eine zunehmende Polarisierung?
Wir sollten nicht so aufgeregt herumflattern wie aufgescheuchte Hühner angesichts der Weltlage. Ich plädiere für mehr Sachlichkeit. Es ist historisch normal, dass die Zeiten sich verändern, dass es Krisen gibt. Das müssen wir aushalten wie Generationen vor uns.
Also keine Angst vor der Zukunft?
Meine Zukunft ist nicht mehr so lang, ich muss ja nicht so viel Angst haben. Aber die jungen Menschen haben eine lange Zukunft vor sich, die ungewiss ist. Darum engagieren sie sich zu recht und warnen davor, so weiter zu machen wie bisher. Waren wir anders? Denken Sie an die Friedensdemos, an die Demos gegen die Pershings in den 80er Jahren. Wir waren überzeugt, dass es zu einem Atomkrieg kommen könnte, und die Alten fanden uns pessimistisch. Aber im Grund hatten wir recht. Vieles wiederholt sich doch sehr ähnlich.
Kabarettist, Filmemacher, Schauspieler. Gibt es da eine "Hierarchie" für Sie?
Kabarettist ist mein Hauptberuf, mit der Regie habe ich sehr spät begonnen, die ist immer mit einem großen Nervenverschleiß verbunden. Das werden eher Ausflüge bleiben.
Warum sind Sie dann trotz Ihres Bühnenerfolges eingestiegen, was reizte Sie?
Mit Mitte 50 hatte ich den Reflex der alten weißen Männer, dass noch etwas passieren soll im Leben. Statt Weinkeller oder Sportwagen war es eben die Filmregie. Da gibt man kein Geld aus, sondern bekommt welches, das ist viel besser.
Kann man Wein und Regie nicht verbinden?
Die Entscheidung heißt für mich klar Wein oder Filmregie. Nur der große Helmut Dietl, der konnte beides gleichzeitig gut.
Welche Zufriedenheit ziehen Sie aus Ihren Arbeitsfeldern?
Beim Filmemachen läuft alles in kleinen Etappen, man weiß nie genau, ob der Film als Ganzes letztendlich funktioniert oder nicht. Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn man das Resultat mit dem Publikum sieht. Beim Kabarett wartet jeden Abend eine tolle Aufgabe auf mich, und ich merke sofort, wenn der Abend richtig gut läuft. Sollte ich einen Fehler machen, kann ich das am nächsten Abend ändern. Das ist viel stressfreier.

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