Jil Sander: Die ewig Stilvolle


Jedes Detail muss bei ihr stimmen, jedes Detail bestimmt sie. Jil Sander, Perfektionistin, Puristin und Deutschlands bekannteste Modedesignerin. Die erste und einzige Deutsche, der es gelungen ist, mit Mode und Parfums eine Weltmarke zu formen. Dass es einmal so kommen würde, hatte nach der Präsentation ihrer ersten Kollektion, 1975, in Paris wohl kaum jemand geglaubt. Zu groß der Kontrast ihres schnörkellosen, monochromen Chics zur vorherrschenden flatterhaften, bunten Mode der Seventies, um Akzeptanz zu finden. Doch Heidemarie Jiline Sander lässt sich nicht beirren und folgt ihrer Vision.
Nach ihrem Textilingenieurs-Studium und einem zweijährigen Aufenthalt in Los Angeles, fängt sie an als Moderedakteurin für die Frauenzeitschriften und Constanze und Petra in Hamburg zu arbeiten. Die Modefotostrecken, die sich vorstellte, ließen sich mit den Kleidern, die man ihr gab, jedoch nicht verwirklichen, weshalb sie den Herstellern Änderungsvorschläge unterbreitete, die so gut ankamen, dass sich daraus der Auftrag ergab, für die Farbwerke Hoechst eine Trendkollektion aus deren neu entwickelter Textilfaser Trevira zu entwerfen. Mit dem Honorar und der Unterstützung von Menschen, die sie wertschätzten, macht sie sich im Alter von 24 Jahren selbständig und eröffnet im feinen Hamburger Stadtteil Pöseldorf eine Boutique unter eigenem Namen in der Milchstraße, in der sich ein paar Jahre später Gunter Sachs mit einer Galerie ansiedelt.
Neben Mode von französischen Designern verkauft Jil Sander dort auch ihre eigenen Entwürfe, die im Laufe der Zeit bei ihren Kundinnen immer beliebter werden und die Stücke von Sonia Rykiel und Thierry Mugler allmählich ausbooten. Um weiterzukommen, muss sie ihre Mode einem größeren Publikum zeigen. Fünf Jahre nach ihrem debakulösen Laufsteg-Debüt an der Seine präsentiert sie 1980 ihre Mode erstmals in Mailand.
Purismus und Perfektion statt ChiChi und FouFou: Jil Sander erkennt die modischen Bedürfnisse berufstätiger Frauen
Ihre Less-is-More-Philosophie konkurriert mit dem Mehr-ist-mehr-Credo der 1980er, findet aber aufgrund von einer wachsenden Zahl emanzipierter Frauen, die ihr eigenes Geld verdienen wollen und dafür eines smarten Looks bedürfen, immer mehr Anhängerinnen. Ihr Mode ist frei von ChiChi in Form von Rüschen und Schleifen sowie dekorativem Klimbim wie Pailletten und Federn. Auch schreiende Drucke, Muster und Farben sind Jil Sander ein Gräuel. Kleidungsstücke, die ihren Namen tragen, zeichnen sich durch hochwertigste Stoffe, schmale Silhouetten, raffinierte Schnitte, erstklassige Verarbeitung und Zeitlosigkeit aus. Das Design prägen Proportionen, Nähte, natürliche Farben und die Oberflächenbeschaffenheit des Materials.
Mode von sportiver Eleganz. Klar strukturiert und dadurch absolut Business-tauglich, ohne dabei die Herrengarderobe zu imitieren. Hinzu kommt, dass das modische Verfallsdatum ihres Stils äußerst gering ist. Viele ihrer Mäntel und Hosenanzüge aus den Siebzigern oder Achtzigern muten auch heute noch zeitgemäß an. Für derlei Virtuosität und Zeitlosigkeit waren und sind Jil-Sander-Frauen von jeher bereit Höchstpreise zu zahlen. Tausend Euro und mehr für einen Rock oder ein Oberteil - meist aus Kaschmir oder Seide - sind im Sanderschen Fashion-Orbit eher die Regel als die Ausnahme. Jil Sanders persönlicher Geschmack wird zum maßgeblichen Erfolgsfaktor. Sie selbst ist sich das beste Model. Nur was ihr steht und gefällt, findet Eingang in die Kollektion. Zusammen mit dem Kosmetik-Hersteller Lancaster entwickelt sie 1979 ihre eigenen Duft- und Pflegeprodukte. Ein Millionengeschäft! Mit der Erhebung ihrer selbst zum Werbegesicht ihrer Parfums stilisiert sich Jil Sander vollends zur Personenmarke. Nordisch nobel ihr Signature-Look aus weißer Hemdbluse und marineblauem Edeltuch.
In den 1990er steht Jil Sander im Zenit ihrer Karriere , doch am Ende der Dekade verzockt sie sich
1989 bringt Jil Sander ihre Fima an die Börse und avanciert damit in Deutschland zur ersten Frau im Vorstand eines Aktienunternehmens. Sie benötigt das Geld der Investoren, um global expandieren zu können und eröffnet in den Metropolen dieser Welt sogenannte Flagshipstores, deren Gestaltung sich durch das perfekte Zusammenspiel von Architektur, Interior Design, Licht und Musik von herkömmlichen Läden unterscheidet und für die Modebranche zukunftsweisend ist.
In den 1990er Jahren steht Jil Sander im Zenit ihrer Karriere. Ihr minimalistische Ästhetik entspricht nun vollends dem Zeitgeist und wird auch von amerikanischen Modegrößen wie Calvin Klein und Donna Karan propagiert. Trends interessieren sie nicht. Nur beim Hype um die Supermodels zieht sie mit und lässt, wie alle führenden Modeschöpfer dieser Zeit, Claudia, Linda, Tatjana, Kate und Co. ihre Kreationen präsentieren.
1996 wird sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und macht ab 1997 auch in Männermode. „Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewusste Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“, fabuliert sie in der FAZ über ihr Lebenswerk, woraufhin ihr der Verein für Deutsche Sprache seinen Negativpreis, den „Sprachpanscher des Jahres“ verleiht.
Eine Schmach, die sich jedoch durch die Ehrung mit dem Bambi für ihre Verdienste um die deutsche Mode noch im selben Jahr relativiert haben dürfte. Für ihre Erfolge belohnt sich Jil Sander mit spektakulären Immobilien in Bestlagen, Kunst und diversen Luxusschlitten - Rolls Royce, Bentley, Porsche.
Jil Sanders Qualitätsansprüche lassen Prada-Boss verzweifeln
Doch am Ende der Dekade verzockt sie sich. Für kolportierte 100 Millionen Mark verkauft sie die Aktienmehrheit ihres Unternehmens an Prada-Eigner Patrizio Bertelli, in der Hoffnung, mit der Einführung von Lederwaren und Accessoires weiter wachsen zu können. Die Fusion mit dem italienischen Luxus-Label wird zum Desaster. Sanders „Von allem nur das Beste“-Philosophie findet beim pragmatischen denkenden Prada-Boss keinen Anklang. Er will die Produktionskosten senken, sie fürchtet Qualitätsverluste. Ihre Kompromisslosigkeit und dominante Art vertragen sich nicht mit Bertellis Machismo.
Knapp ein halbes Jahr nach dem Zusammenschluss schmeißt sie ihren Job als Kreativdirektorin hin und versucht fortan das dolce far niente zu genießen. Milan Vukmirovic wird zu ihrem Nachfolger berufen: Der noch junge Designer kommt zwar von Gucci, verfehlt aber mit den Geschmack der Sander-Fans. „Zu hart, zu sportlich“ lautet zudem das Urteil der Fachpresse. Jil Sander rutscht in die roten Zahlen und Bertelli muss einsehen, dass eine Marke eben nicht nur ein Name mit einem hübschen Logo ist. Jil Sander ohne Jil Sander funktionierte nicht mehr.
Auch die Firmengründerin leidet am freien Fall ihres „Babys“ und kehrt im Mai 2003 zurück. Sie entwirft zwei Kollektionen, die von der Presse gelobt werden, das Label aber nicht wieder profitabel machen. Nur anderthalb Jahre nach ihrem Comeback bricht sie erneut mit Bertelli, dem die finanziellen Mittel ausgingen, um in die AG zu investieren. 2006 verkauft er 99% seiner Anteile an einen britischen Finanzinvestor. Zu diesem Zeitpunkt macht der belgische Designer Raf Simons als kreativer Leiter der Marke Jil Sander bereits seit einem Jahr einen guten Job - verbindet gekonnt seine Ästhetik mit der DNA der Firmengründerin. Sieben Jahre lang, bis diese noch einmal das Zepter übernimmt und nach nur 18 Monaten abermals Abschied nimmt. Dieses Mal für immer. Aus persönlichen Gründen. Ihre Lebensliebe, Angelica „Dickie“ Mommsen, mit der sie 30 Jahre zusammenlebte, war an Krebs erkrankt.

Privates über Jil Sander ist nur bekannt, was sie selbst über sich preisgegeben hat. Auf ihrem Landgut in Schleswig-Holstein schneidet sie Rosen, auf ihrem Grund in Ibiza pflanzt sie Olivenbäume. Interviews sind ihr unangenehm, Fototermine für sie eine Qual. Um zu kontrollieren, welche Fotos von ihr um Umlauf sind, kauft sie die Rechte an den Bildern und hält sie unter Verschluss. Fans der stylishen Hanseatin dürfen sich dieser Tage dennoch freuen. Die „Queen of Less“ feiert am 27. November ihren 80. Geburtstag und sich selbst mit einem großformatigen, bilderreichen Buch, das Jil Sander laut Verlag „mit derselben Sorgfalt wie ihre Kollektionen betreut hat“. Der 320 Seiten starke Band verspricht bislang unveröffentlichtes Archivmaterial, das den Lesern die öffentlichkeitsscheue Mode-Ikone ein Stückchen näherbringen will. Happy Birthday!