Jetzt wird zurückgeschaut
Jubel für Erwin Pelzig: Frank-Markus Barwassers erstes Theaterstück „Alkaid“ wurde im Residenz Theater uraufgeführt
Seine Mutter hat immer gesagt: „Der liebe Gott sieht alles.“ Irgendwann hat Erwin Pelzig gedacht: „Jetzt reicht’s. Ab jetzt wird zurückgeschaut.“ Seitdem beobachtet er als Hobby-Astronom die Sterne im All und ist auch sonst dem Blick in fremde Welten nicht ganz abgeneigt. Was er dabei zu sehen bekommt und wie andere dasselbe sehen, darüber hat der fränkische Kabarettist und Pelzig-Erfinder Frank-Markus Barwasser für das Residenz Theater sein erstes Theaterstück geschrieben: „Alkaid. Pelzig hat den Staat im Bett“, in dem er natürlich selbst seine Kunstfigur Pelzig spielt. Josef Rödl inszenierte die Uraufführung als temporeiche Boulevard-Farce, die heftigen Applaus erntete.
Erwin Pelzig erhält unerwarteten Besuch: Zwei Beamte vom Landeskriminalamt quartieren sich in seinem Schlafzimmer ein, um ein verdächtiges Objekt im Haus gegenüber zu observieren. Die Zwangs-WG liefert naturgemäß jede Menge komischer Verwicklungen. Pelzigs Neugier ist größer als sein Widerstand, zumal er als Gutmensch versucht, mit seinem Wissen über die Nachbarn jeden möglichen Verdacht zu zerstreuen. Was die arrogante LKA-Ermittlerin Dr. Winter (Barbara Melzl als überschrille, manierierte Karikatur) nicht beeindruckt: Man wolle ja nicht sehen, was sei, sondern was sein könnte.
Man kann aus jeder Wahrnehmung falsche Schlüsse ziehen
Ihr Untergebener Ranninger dagegen entdeckt durch die Überwachung das, was ist: Seine Freundin geht fremd. Aus Liebeskummer betrinkt er sich und belauert fortan, eingeigelt in Pelzigs Bett, mit einem Richtmikrofon nur noch seine Ulla. Felix Rech spielt den überforderten Ranninger als köstlich tragikomischen, sympathischen Chaoten.
Das Objekt der Überwachung ist jedoch Pelzigs guter Freund, der Araber Dr. Youssef. Mit dem philosophiert er nachts auf der Dachterrasse am Fernrohr über Gott und die Welt und trinkt gerne ein Glas Wein mit ihm. Dieser Youssef ist bei Gerd Anthoff ein weiser, abgeklärter Grandseigneur, der unvermutet gegenüber der spröden Dr. Winter berückenden Charme entwickelt und ihr auf dem Dach den Stern Alkaid im Großen Bären erklärt.
Winter hat andere Sorgen: Ständig ruft das Pflegeheim an, aus dem ihre demente Mutter immer wieder ausreißt. Und als sie ihr Handy in Pelzigs Wohnung liegenlässt, sucht Pelzig selbst nach der alten Frau, die Heide von Strombeck hinreißend eigensinnig und agil spielt. Zur Vervollkommnung der Turbulenzen lädt Pelzigs hektische junge Nachbarin Anne (Lisa Wagner) dauernd ihr Baby bei Pelzig ab, wobei sich Ranninger als der noch bessere Babysitter entpuppt. Pelzig jedenfalls hat alle Hände voll zu tun, und sein Entlastungs-Ehrgeiz kennt keine Grenzen.
Die LKA-Ermittlerin denkt bei Alkaid sofort an Al Kaida
Frank-Markus Barwasser trägt als Erwin Pelzig den Abend: Er ist gleichzeitig liebenswerter Kleinbürger, verquer-logischer Philosoph und heimlicher Anarchist, der mit einer Schleuder die Straßenlaterne kaputtschießt, weil sie seine Sternensicht stört. Er ist „eingemischt worden“, also mischt er sich sein, mit aller Vehemenz und keineswegs gefeit vor falschen Schlüssen.
Regisseur Josef Rödl bedient auf der hübschen Zwei-Zimmer-Bühne von Ioanna Pantazopoulou die Mechanismen des Boulevard mit präzisem Türenknallen und Slapstick-Komik. Bis zur Pause zieht sich das ein bisschen – das wird sich einspielen – , gewinnt dann aber mächtig an Fahrt bis zum Überraschungs-Ende. Das bündelt alle Ahnungen, falsch gedeuteten Wahrnehmungen und Verdächtigungen der für das Eigentliche blinden Figuren zur zentralen Frage nach der Wahrheit: „Nicht die eigene, sondern die andere“ wolle er wissen, sagt Pelzig verzweifelt. Mit dieser vergnüglich-kritischen Satire auf den Überwachungsstaat und die Terror-Paranoia hat das Resi garantiert einen Renner.
Gabriella Lorenz
Residenz Theater, 30. April, 9., 15., 24. Mai, 2., 5. Juni, Tel.21851940