Jenseits von Eden

Auf kaum einen Film waren Cinéasten so gespannt wie auf „The Tree of Life”. Terrence Malicks Kinoexperiment changiert zwischen eindringlichem Familiendrama und Esoterik
von  Adrian Prechtel

Wie schafft man Aura? Man macht in fast 40 Jahren nur vier Filme und hält beim fünften in jahrelanger Bastelei zwei große Filmfestivals hin. Dann erscheint man bei der Weltpremiere nicht und überlässt seinem Star Brad Pitt die Öffentlichkeitsarbeit.

Wer unter den so hochgeschraubten Erwartungen Terrence Malicks „The Tree of Life” sieht, muss enttäuscht werden von der in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Filmruine, die umwabert ist von christlich-katholischem Esoterik-Kitsch. Am Ende weiß man, Malick, hätte sich auf den Kern konzentrieren sollen: die weiße Familiengeschichte in den 50er Jahren, in der Brad Pitt, unbeholfen ehrlich, einen patriarchalischen Familienvater spielt, einen Ingenieur, der den amerikanischen Traum gottesfürchtig träumt und seine heimlichen Selbstzweifel in Strenge umsetzt, die Gefühle verhindert: Seine Kinder sollen mit klaren Werten und Härte auf den Lebenskampf vorbereitet werden.

Wunderbar ist man als Zuschauer eingewoben, erlebt die Strukturen aus der naiv-bewundernden, gleichzeitig hellsichtig-intuitiven Perspektive der drei Söhne. So gelingt Malick ein Familien-Splitter-Porträt, das wie eine Familienaufstellung jeden Zuschauer mit eigenen Kindheitserfahrungen konfrontiert und aktiviert zum persönlichen Ergänzen. So wird jeder einen anderen, aber immer starken Film erleben. Das ist lebendige Kunst.

Aber Malick bettet diese seelenstarke Erinnerungsgeschichte in zwei weitere Ebenen ein: in eine Gegenwartsgeschichte mit Sean Penn als jetzt erwachsener Sohn, der als moderner Hochhausbüro-Geschäftsmann die Versöhnung mit der Familienvergangenheit sucht. Am Ende tritt er – wie in einer Jehova-Wachturm-Broschüre – durch ein Holztor in eine versöhnliche Welt außerhalb von Zeit und Raum, in ein Meeres-Sonnenstrand-Jenseits, wo man alle seine Lieben wiedertrifft.

Diese in ihrer Konkretheit peinlichen Jenseits-Visionsbilder werden noch gesteigert von den dreiviertelstündlichen Rahmenbildern des Lebensbaum-Filmes, die unser Leben kosmisch eingebunden zeigen sollen: Zu neoklassischer, barocker und unpassend tränenreicher Passionsmusik sieht man einen Schöpfungsgeschichts-Zeitraffer: banale Farb- und Magma-Fontänen- und Wasserfall-Bilder vom Urknall bis zur Dinosaurier-Episode, begleitet von einer bedeutungsschwangeren, weiblichen Dauer-Gottesbeschwörungsstimme.

Auf DVD könnte man sich durch Kapitelsprünge auf die Familiengeschichte beschränken. Im Kino ist man aber diesem aufgeblasenen, missionarischen und letztlich langweiligen Beseelungskitsch ausgeliefert.

Kino: Arri, Atlantis (OmU), Cinema (OV), CinemaxX, City, Münchner Freiheit, Kino Solln R: Terrence Malick (USA, 138 Min.)

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