Jeder wird beschädigt

Komödie und Tragödie in einem: Im Residenz Theater inszeniert Tina Lanik Kleists „Zerbrochnen Krug“ mit Lambert Hamel in der Hauptrolle
von  Abendzeitung

Komödie und Tragödie in einem: Im Residenz Theater inszeniert Tina Lanik Kleists „Zerbrochnen Krug“ mit Lambert Hamel in der Hauptrolle

Es ist nur ein Krug zu Bruch gegangen. Aber er steht symbolisch für die Ehre Eves, die mit einem fremden Mann in ihrem Zimmer ertappt wurde. Wer ist der Unbekannte? Dorfrichter Adam soll den Fall klären – und verstrickt sich in ein Lügengespinst, denn er selbst ist der Schuldige. Diese Paraderolle spielt nun Lambert Hamel im Residenz Theater. Tina Lanik inszeniert „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist, morgen ist Premiere.

AZ: Frau Lanik, Sie hätten das Stück schon vor anderthalb Jahren inszenieren sollen. Warum kommt es erst jetzt?

TINA LANIK: Ich war fasziniert vom „Krug“, hatte aber noch keinen schlüssigen Zugang gefunden. Manchmal ist es sinnvoll, Sachen liegen zu lassen. Es ist auch mein erster Kleist.

Die Originalfassung des letzten Bildes, der so genannte Variant, hat 550 Zeilen. Diese Länge war wohl schuld am Misserfolg der Weimarer Uraufführung 1808 durch Johann Wolfgang von Goethe. Später verkürzte Kleist die Aufklärung auf 70 Zeilen.

Wir haben lang diskutiert, welche Fassung wir spielen. Ich habe dann große Teile des Variant wieder reingenommen. Der Variant ist wichtig für die Figur der Eve. Auch wenn es ein Geheimnis bleibt, was in den entscheidenden zwei Minuten zwischen Adam und Eve wirklich passiert ist. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass Adam Eve unter Druck setzt, sie nötigt und sie in eine Ausnahmesituation bringt.

Kleist hat sein Stück als Lustspiel bezeichnet. Es hat allerdings sehr ernste Untertöne.

Es ist Komödie und Tragödie in einem. Man kann über die Unverschämtheit des Richters lachen. Es gibt in der Politik und der Wirtschaft so viele Leute, die sich bei Skandalen und illegalen Aktionen mit Lügen unverschämt durchlavieren, bis es nicht mehr geht. Dieser Art von Machtmissbrauch macht sehr viel kaputt. Auch bei Kleist kommt keiner unbeschadet raus.

Aber das Ende bietet doch die Chance der Gerechtigkeit.

Aber keiner hat dadurch etwas gewonnen. Das Vertrauen zwischen Eve und Ruprecht ist zerstört, der Versöhnungskuss funktioniert nicht mehr. Für Marthe ist es schlimm, zu erfahren, dass ihre Tochter beinahe missbraucht worden wäre, und ihr Krug wird auch nicht mehr ganz. Zumal es Hinweise gibt, dass Marthe mal ein Verhältnis mit Adam hatte, und nun steht er auf ihre Tochter. Außerdem holt man den geflohenen Adam ja zurück - er wird also am Ende irgendwann wieder da sitzen und Recht sprechen. Der Schreiber Licht bekommt das ersehnte Richteramt nur auf Zeit. Der Gerichtsrat Walter kommt schon lädiert in Huisum an und will nicht das gleiche Chaos wie im vorigen Ort erleben. Deshalb deckelt er die Sache sehr lange, weil er sonst selber Ärger bekäme. Und als er Eve fragt, ob er sie küssen darf, macht er im Grunde das Gleiche wie Adam. Nach der Klärung des Falles bleibt durchgehend ein schaler Beigeschmack.

Kleists Sprache verrät ja von Anfang an die Wahrheit.

Der Text ist voll von Anspielungen, Zweideutigkeiten, Halbwahrheiten, gestammelten, unvollendeten Sätzen. Außerdem hat jede Figur ja auch ihre eigene Wahrheit.

Zuletzt hat Amélie Niermeyer den „Krug" 1997 mit Michael Degen am Resi inszeniert, davor gab es 1986 Dieter Dorns Kammerspiele-Inszenierung mit Rolf Boysen. Kennen Sie die Aufzeichnungen?

Nein. Ich habe den „Krug“ nur einmal gesehen, von Andrea Breth im Wiener Burgtheater. Die Münchner Aufzeichnungen schaue ich mir erst nach der Premiere an. Wenn ich sie vorher sehen würde, hätte ich zuviel fremdes Zeug im Kopf.

Sie sind seit 2002 regelmäßiger Regie-Gast am Resi.

Als nächstes werde ich im Mai „Diesseits“ von Thomas Jonigk mit Juliane Köhler inszenieren. Im Cuvilliés Theater. Darauf Freude ich mich besonders.

Gabriella Lorenz

Residenz Theater, Samstag und Sonntag 19 Uhr, Tel.21851940

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