Jeder stirbt für sich allein
Der Meister ist nicht erschienen! Terrence Malick hat sich das Buh-Gewitter der Pressevorführung gespart. Aber wer in 35 Jahren nur vier Filme fabriziert, zwei Festivals (Venedig und Berlin) hingehalten und Brad Pitt und Sean Penn als Stars hat spielen lassen, darf sich kaum wundern, wenn die Erwartungen hochgeschraubt sind.
Jetzt hat er mit „Tree of Life” einen christlich-katholischen Esoterik-Kitsch abgeliefert, bei dem man die ersten 45 Minuten nur Bilderbuch-Natur, Magmafontänen, Wasserfälle, Weltall und Farbräusche erlebt, unterlegt mit Sakralmusik – unser Leben kosmisch eingebunden in die Schöpfungsgeschichte. Dann springen die Bilder in die 50er Jahre und zeigen eine klassische weiße Vorstadtfamilie, mit einem Vater (Brad Pitt), der seine Kinder auf den amerikanischen Traum und Lebenskampf vorbereiten will und durch Strenge Gefühle verhindert.
Hier sind großartig spontane Lebenssplitter entstanden, die den Zuschauer zum Ergänzen und eigenem Verstehen anregen, ehe der Film sich wieder in peinliche Jenseitsvisionen verliert. Brad Pitt hatte hier in Cannes auch als Co-Produzent die Aufgabe, Terrence Malicks maliziöse Abwesenheit zu rechtfertigen: mit Schüchternheit und dem klassischen Ausredesatz, „Malick will, dass nur sein Werk für sich selbst spricht”.
Das gelang der bisherigen Festival-Überraschung: Am Ende hatten alle ein oder mehrere Taschentücher gebraucht. Nicht wegen eines Bilderrauschs oder der Gefühlsüberwältigungs-Klaviatur, sondern wegen einer Geschichte, so echt, wie man es von Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon”, „Whisky mit Wodka”) gewohnt ist. Schade nur, dass „Halt auf halber Strecke” in die Nebenreihe „Un certain regard” abgedrängt wurde. Im Wettbewerb hätte der Deutsche abgeräumt.
Wie hier das Sterben in der Familie nach einer Gehirntumor-Diagnose für den Vater erzählt wird, ist so ergreifend, dass man aus diesem Film nicht mehr hinausgeht wie man war: Ja, so hart kann der Verfall am Ende des Lebens sein. Das Milieu sympathisch kleinbürgerlich mit gerade gebautem Häuschen am Berliner Stadtrand, die Frau eine Heldin des Alltags, der 8-jährige Sohn liebevoll, die pubertierende Tochter cool, aber doch für den Vater da. So denkt man am Ende: Ja, jeder stirbt für sich allein, aber wie dieser Film jedem seine Würde lässt in der Überforderung, der Trauer und der Angst, das ist so faszinierend, dass man jedem nur wünschen kann, diesen Film zu riskieren.
Ein ebenso hartes Thema wagte der Österreicher Markus Schleinzer mit einer Annäherung an den Natascha-Kampusch-Fall: Der bebrillte Versicherungsangestellte mittleren Alters, der einen 10-jährigen Jungen im Keller gefangen hält, lebt ein stinknormales, aber filmisch überstilisiert verklemmtes Reihenhausleben mit Ordnungszwang und heruntergelassenen Jalousien. Auf internationalen Festivals spalten solche Filme, weil in südlichen Ländern der Bezug zum beklemmenden deutschen Spießermilieu fehlt und dadurch die Möglichkeit des wenigstens kennend-kotzenden Einfühlens.
„Michael” – so der Titel – bekam in vielen Zeitungen die denkbar schlechteste Wertung. Zu Unrecht: Wer eine Antwort auf die Frage haben wollte, warum tun Menschen das Böse, durfte das von diesem quasi-dokumentarischen, aber nicht analysierenden Film kaum erwarten. Jetzt, da Malick das Festival im Stich gelassen hat, fragen sich alle: Wird Jodie Foster es schaffen, dass Mel Gibson für ihre „Der Bieber”-Premiere heute an der Cote d’Azur aufkreuzt?
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