"Jeder schreibt für sich allein - Schriftsteller im Nationalsozialismus" von Dominik Graf

Kann man braun weißwaschen? Der Essay-Dokumentarfilm mit Anatol Regnier
Adrian Prechtel |
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Lächelnde Skepsis dem eigenen Bild gegenüber? Erich Kästner 1959 neben seiner von Bildhauer Frayber geschaffene Bronze-Büste.
picture alliance / dpa 2 Lächelnde Skepsis dem eigenen Bild gegenüber? Erich Kästner 1959 neben seiner von Bildhauer Frayber geschaffene Bronze-Büste.
Der Wedekind-Enkel, Autor und Literaturforscher Anatol Regnier und Regisseur Dominik Graf.
Piffl Medien 2 Der Wedekind-Enkel, Autor und Literaturforscher Anatol Regnier und Regisseur Dominik Graf.

Was heißt es für das Werk, wenn man als Schriftsteller während des Nationalsozialismus in Deutschland geblieben ist? Ist er damit künstlerisch ein für alle Mal verbrannt? Oder: Kann ein Nationalsozialist überhaupt ein guter Autor sein?

In faszinierend kurzweiligen zweidreiviertel Stunden gelingen Dominik Graf in "Jeder schreibt für sich allein" Annäherungen an verschiedenste Varianten von "Schreiben im Nationalsozialismus" - von Gottfried Benn, Erich Kästner, Hans Fallada, die alle in interessant verschiedenen Abstufungen etwas problematisch Schillerndes haben, bis zu Hanns Johst oder Will Vesper, die als ideologisch überzeugte Nazis keinen Nachruhm erringen konnten, wie auch Ina Seidel.

Entlastungsfloskel von der "Inneren Emigration"

Aber auch ein Unbekannterer wie Jochen Klepper wird untersucht: ein protestantisch deutschnationaler Pfarrerssohn, mit einer Jüdin verheiratet und einer jüdischen Stieftochter, der sich vor der Deportation seiner Familie mit ihnen das Leben nahm. Basis des Films von Dominik Graf ist das Buch von Anatol Regnier, das zum Thema "Schriftsteller im Nationalsozialismus" vor drei Jahren erschienen ist.


Zu Beginn des Films, wird gleich einmal das geläufige Wort von der "Inneren Emigration" auseinandergenommen: als (Mit-) Schuld vermindernde Entlastungsfloskel, wie der Literaturkritiker und Autor Albert von Schirnding analysiert. Versucht wurde, moralische Gleichwertigkeit herzustellen zu den Emigrierten. Die aber mussten die Heimat verlassen, ihr Leben retten und großteils jegliches Vermögen zurücklassen. Was heißt im Gegensatz dazu, angeblich "innerlich" nicht mitgemacht zu haben? Also nur äußerlich mitmachen? Oder künstlerisch ins oberflächlich "Unpolitische" ausweichen, was in einem totalitären System gar nicht wirklich geht, um weiter gedruckt zu werden? Auch das wäre ja eine künstlerische Deformation, die das Werk als Tarnung wertlos macht.


Es ist die sonore, dabei doch raunende, immer ein wenig zu bedeutungsbeladene Stimme von Dominik Graf, die seine Essay-Filme manchmal schicksalsschwer aus dem Off kommentiert. Nie peinlich, aber manchmal doch nur noch assoziativ mit dem Thema verbunden - wie die Reflexion über einzelne Schuhe, wenn man einen am Straßenrand oder im Rinnstein sieht und darüber über das Schicksal des Trägers oder der Trägerin sinnt. Graf spannt damit später den Bogen zu dem Bild des Schuhberges in Auschwitz, das in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert ist.

Der Gegentyp zum vergrübelten Dominik Graf ist Anatol Regnier, Enkel von Frank und Pamela Wedekind, selbst Autor, Liedermacher und leidenschaftlicher Literaturforscher. In "Jeder schreibt für sich allein" ist er der Ankermann, ein guter Cicerone auf vermintem Terrain: energetisch, neugierig, witzig, kritisch, aber dem ernsten Thema fast heiter begegnend.

Durch die so verschieden geladenen Pole aus Regnier und Graf wird aus "Jeder schreibt für sich allein" ein Film, der gut Balance hält zwischen Fragen und Antworten, Nachdenken und Bewerten. So ist am Ende vieles erklärt, aber erfrischend beunruhigenderweise nicht in reines Schwarz oder Weiß gepresst, das man als Gut-Böse-Schema getrost nach Hause tragen könnte. Es sind die Graustufen, die einen über den Film hinaus weiterbeschäftigen.


Man erlebt Regnier bei Recherchieren: im Literaturarchiv in Marbach, wo sich eine "magische Tür" öffnet oder im Gespräch mit Wissenden oder Verwandten an historischen Orten und in Häusern. Privates Archivmaterial wird eingestreut, manchmal ein Reenactment. Dann sieht man dann für einige Szenen die toten Literaten, als Schattenwesen oder Untote in Buchhandlungen nächtlich nach ihrem literarischen Überleben suchen. Das ist durch die Surrealität aber nie peinlich oder gewollt, wie es pseudohistorisches Nachspielen in Dokumentationen oft ist.

Problematisch ist, dass echtes Dokumentarmaterial der NS-Zeit überwiegend propagandistisch oder zumindest NS-bejahend ist. So besteht auch in diesem Film die Gefahr, dass beim Einsatz von Bücherverbrennungsbildern, Hitler- und Goebbelsreden oder Treffen "alter Kameraden" wie Himmler oder Göring, der Faschismus ungewollt überhöht wird.

Wenn jeder ein Nazi sein kann: Kleiner Mann, was nun?

Als kluge, heutige Analytiker des Schreibens im Nationalsozialismus kommen Gabriele von Arnim, selbst Schriftstellerin, zu Wort oder Florian Illies, Autor, Verleger und Essayist, der auch den Wandel beschreibt, den sein persönliches Verhältnis zu Gottfried Benn durchgemacht hat. Auch der Historiker und Kulturmensch Christoph Stölzl analysiert. Besonders scharf und sinnig tut dies im Film die Kritikerin und Autorin Julia Voss. Graf gelingt es, dass dabei nie eine langweilige Talking-Heads-Reihe entsteht. Splitscreen-Technik baut durch gleichzeitig verschiedene Perspektiven auch da, wo einer nur erklärt, ästhetisch Spannung auf.


Ein paar sanfte Themaverfehlungen zu Schreiben "im" Nationalsozialismus begeht der Film, wenn Anatol Regnier an der Cote d'Azur Klaus Manns zeitweiliges Exil-Hotelzimmer besucht oder der Schriftstellersohn Bernwald Vesper, ein kurzzeitiger Lebensgefährte von Gudrun Ensslin, sich in den 60er-Jahren mit seinem NS-Schriftstellervater Will auseinandersetzt.

Weil Dominik Graf letztlich vernetzt und im Exemplarischen umfassend erzählen will, verfolgt er noch ein paar Nebenthemen. So wenn die Filmproduzentenlegende Günter Rohrbach (Jahrgang 1928) intelligent und selbstkritisch über die Faszination des Nationalsozialismus auf ihn als Jugendlichen erzählt, die Alltäglichkeit des Faschismus, in einer Zeit, als niemand wusste, wie es enden würde, beschreibt. Und für die ebenfalls nicht-literarische Frage, wes Geistes Kind ein überzeugter Nationalsozialist gewesen ist, zieht Graf Douglas Kelly heran, den US-amerikanischen Psychiater beim Nürnberger Prozess gegen die NS-Hauptverbrecher. Kellys irritierender Befund: Die Psyche vieler Nazi-Größen war nicht krankhaft und unterschied sich nicht vom Durchschnittsmenschen. Graf nutzt das für die verunsichernde Frage an uns heute: "Wie sicher kann ein Mensch sich seiner selbst dann noch sein" und sich ein Urteil über die Schriftsteller im Nationalsozialismus erlauben?

Die Wirklichkeit erschlug Kästners Ironie

Dennoch ist "Jeder schreibt für sich allein" nie moralisch relativierend. Person und Werk kann man eben nicht gut trennen. Erich Kästner ist dabei die aufregendste Figur: Bei der Bücherverbrennung in Berlin sieht er seine eigenen Bücher brennen, bekam Berufsverbot, blieb - als Muttersöhnchen? - aber in Deutschland. Seine Rechtfertigung: Einen großen NS-Staat-Innenansichtsroman verfassen zu wollen, zu dem es aber nie kam. Am brutalen Wahnsinn der NS-Wirklichkeit konnte Kästner seine ureigenen Stilmittel und Methoden - scharfe Ironie und geistreiche Süffisanz - nicht mehr ansetzen. Was Kästner nicht hinderte, unter Pseudonym weiterzuschreiben, inklusive dem Drehbuch für den Großfilm "Münchhausen" mit Hans Albers.

So bleibt am Ende Kästner sphinxhaft, Fallada unheimlich, Klepper tragisch, Ina Seidel einfach eine überzeugte Mitläuferin, Johst ein dunkelbrauner Kotzbrocken. Und man muss mit dem Überzeugungsschrifttäter Will Vesper kein Mitleid haben. Und Gottfried Benn? Dessen anfängliches Feuer-und-Flamme-Sein für den NS-Staat inklusive eleganter Hetze gegen ehemalige Freunde und Kollegen bleibt - auch nach einer späteren Wende - unverzeihlich.

"Jeder schreibt für sich allein - Schriftsteller im Nationalsozialismus": Der Film ist im City, Monopol, Arena und Isabella.
Das gleichnamige Buch von Anatol Regnier ist im C.H. Beck Verlag erschienen (366 S., 26 Euro)

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