Je abgedrehter, je besser
Vor der schöpferischen Pause bespaßen die hanseatischen Musik-Anarchisten Deichkind das mit Fans wohlgefüllte Zenith
Wollen Sie nicht auch eine Neonnase?“ Höflich hinterfragt ein kleiner Junge ungeschminkte Besucher des Deichkind-Konzerts ob der Angemessenheit ihres Outfits. Schließlich könnte der Auftritt der Hamburger Party-Technorapper dank einer schöpferischen Pause für lange Zeit der letzte sein. Stolz präsentieren sich ihre Jünger im gut gefüllten Zenith in angemessener Ausgehuniform: Mülltütenweste, Leuchtringe und bunte Dreieckshüte. Frei nach dem Band-Motto: je abgedrehter, desto besser.
Deichkind selbst überrascht im Intro mit einem tieftraurigen Video im Jodorowsky-Stil: Tierisch kostümiert taumelt die Spaß-Kombo darin durch triste Wälder und weckt damit Erinnerungen an ihren Ende Februar verstorbenen Produzenten Sebi Hackert. Erst als die suchenden Fabelwesen eine Raumschiffpyramide im Wasser entdecken, erfolgt die Katharsis.
Mächtige Beats und ein Netzhaut zerfetzendes Stroboskopgewitter läuten den Deichkind-„Feiertag“ ein. Die Fans brüllen den heiß geliebten „Arbeit nervt“-Refrain mit und tanzen ausgelassen. In den nächsten zwei Stunden läuft das Happening aus derben Elektro-Beats, Popzitaten von Kraftwerk bis Notorious B.I.G, hedonistisch-ironischen Raptexten und einer skurrilen Gagashow auf Hochtouren. Party-Elemente wie eine Schlauchbootfahrt zu „Hovercraft“ wechseln sich mit neuen Effekten der Verfremdung ab. Wo kurz zuvor ein Herr im Smoking „The Power Of Love“ intonierte, tollt wenig später ein Flavor-Frosch samt Uhr um den Hals auf die Bühne. Der originelle Bespaßungsrausch findet mit dem Eurodance-Trashhammer „No Limit“ ein stimmiges Ende. Grenzen des Geschmacks kennen die Musik-Anarchisten wirklich keine.
Florian Koch