Jazzer altern würdevoller
Er spielte für GIs, brachte die Bundesrepublik zum Lächeln und besann sich spät auf die Liebe zum Jazz. Am 12. März wird der Pianist und Sänger Paul Kuhn 80 Jahre alt. Der Pianist und Sänger über sein Leben zwischen Schlager und Swing.
AZ: Herr Kuhn, wann fing für Sie die Welt zu swingen an?
PAUL KUHN: Ich hab’ Swing gemacht, da gab’s den eigentlich noch gar nicht. Und ehrlich gesagt konnte ich ihn auch noch nicht richtig. Das war der Kriegs-Swing, von dem man damals – 1942 oder 1943 – glaubte, dass sei der richtige Swing. Wir kannten ja nur ein paar amerikanische Platten, die man zur Nazi-Zeit nicht besitzen, geschweige denn hören durfte. Mit ein paar Freunden hab’ ich es trotzdem gemacht. So wussten wir wenigstens ein bisschen Bescheid: Wer Glenn Miller war und dass es einen tollen Pianisten wie Teddy Wilson gab.
Haben Sie auch die so genannten Feindsender gehört?
Ja, mit einem Freund, wir waren damals 15 oder 16. Mit einer Decke über dem Radio, damit die Nachbarn nichts mitbekamen. Uns ging’s in erster Linie um die tolle Musik. Aber die gab es eben nur zusammen mit den Nachrichten, die man nicht hören durfte.
Können Sie sich daran erinnern, wie diese Musik bei Ihnen zum ersten Mal zündete?
Das muss 1942 gewesen sein. Da war Glenn Miller schon in England und machte Propagandasendungen, mit denen die Alliierten die deutsche Jugend und die Wehrmacht erreichen wollten. Die haben ein Stück gespielt, das ich manchmal noch heute im Programm habe: Den „Anvil Chorus“, Verdis berühmten „Coro di zingari“ aus „Il Trovatore“ als Swing-Nummer. Das hat mich richtig umgehauen!
Wie haben Sie das Kriegsende und die Zeit unmittelbar danach erlebt?
Als tolle Zeit. Auch weil man als Jazz-Musiker damals keinen Hunger leiden musste. Ich habe einige Jahre für die Amerikaner gespielt. Als Gage gab's Zigaretten und Kaffee.
Die Zeit mit den GIs war die Jazz-Schule des Paul Kuhn?
Das war mein zweiter Bildungsweg! Ich hab’ damals das Repertoire kennen gelernt, das ich zum Teil noch heute spiele. Man musste wirklich schauen, dass man immer up-to-date war. Wenn man's nicht war, haben das die Amis gleich gemerkt.
Blickten Sie zu den US-Soldaten auf?
Schon. Musikalisch, weil unter den GIs ganz tolle Musiker waren. Und politisch, weil die uns befreit haben. So war das eben. Und das sollte man nicht vergessen.
Was hat den Deutschen damals am Jazz oder am Swing gefallen?
Dass in dieser Musik etwas pulsiert, was wir in Europa bis dahin nicht kannten. Dass Jazz so „live“ ist wie keine andere Musik und ein Gefühl der Freiheit vermittelt.
Statt Jazz machten Sie schon bald Schlager wie den „Mann am Klavier“. Wie kam das?
Wäre es nach mir gegangen, hätte ich auf Englisch gesungen. Aber die deutschen Labels wollten damals eben deutschsprachige Titel. Ich wurde also gefragt, ob ich eine Platte machen wolle. Da hab ich natürlich ja gesagt. Als die mir dann den „Mann am Klavier“ vorgesetzt haben, war meine erste Reaktion, ob ich das ernsthaft singen solle. Ich hab's dann getan, aber nur widerwillig. Gerade das scheint aber der Gag an dieser Aufnahme gewesen zu sein.
Einige Jahre haben Sie im Schlagerbereich als Produzent und Arrangeur gearbeitet – unter anderem mit Heino und Howard Carpendale. Ist der Schlager für Sie tot?
Tot ist er ja nicht, solange es Leute wie Hansi Hinterseer gibt. Alles hat so einen merkwürdig alpinen Charakter gekriegt: Die Leute ziehen sich einen Janker an, singen ‚Ich liebe dich’ und das Ganze nennt sich dann Schlager. Ich versteh’s nicht! Ich hör es mir nicht an, weil alle wie die kleinen Kinder singen.
Und Dieter Bohlen?
Das ist ja Pop und eigentlich eine Unverschämtheit. Was das rein Geschäftliche betrifft, muss ich vor Herrn Bohlen alle Hüte ziehen. Wie der das knallhart durchzieht. Trotzdem finde ich nicht in Ordnung, dass die zur Prime-Time ein Casting zeigen, wo Leute unbeholfen ihre vermeintlich ersten Schritte Richtung Pop-Erfolg tun. Ich guck trotzdem rein, weil ich mich fertig ärgern will.
In den 60-er stürmten die Beatles und die Rolling Stones die deutschen Charts. Wie haben Sie diese Pop- und Rock-Revolution erlebt?
Als musikalischen Niedergang. Ganz klar. Oder wollen Sie die Rolling Stones ernsthaft mit irgendwelchen Jazzern vergleichen?
Aber die Beatles haben doch tolle Songs komponiert.
Die Beatles waren wirklich besser. Musikalisch war da weiß Gott mehr los. Wenn ich die Stones heute erlebe mit ihren drei Akkorden und den Jagger mit seinem Stechschritt, frag’ ich mich schon, was die Leute immer noch so toll daran finden.
Altert ein Jazzer denn würdevoller als ein Rock-Star?
Ich denke schon. Ich jedenfalls bin froh, dass ich in dem Alter, in dem Jagger sich heute befindet, nie solche Verrenkungen machen musste.
Wegen einer Augenkrankheit können Sie kaum noch sehen. Ist die Musik für Sie da noch wichtiger geworden?
Ganz sicher. Ich kann keine Noten und keine Bücher mehr lesen. Ich könnte mir Hörbücher kaufen, aber das ist mir zu blöd. Lieber spiel ich Klavier. Es mag kitschig klingen, aber wenn ich Klavier spiele, dann macht mich das froh.
Claus Lochbihler
Paul Kuhn spielt mit dem Filmorchester Babelsberg und einer Allstar-Formation am 13. März um 20 Uhr im Gärtnerplatz-Theater.
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- Dieter Bohlen
- The Beatles