James Dean hätte sie geliebt
Es wird ihr Jahr: Lizzy Grant (25) aus Lake Placid, vier Jahre Philosophiestudium in New York. Ihre Helden sind Elvis und J.F.K. Und sie interessiert sich für die Dichter der Beat-Generation und für den Metamystikpoeten William Blake. Auf die Pop-Bühne aber tritt sie als Lana Del Rey.
Im November begann die Promo-Maschine ihrer Plattenfirma zu laufen, die sich zügig in erwartungshungrigen Begeisterungsartikeln niederschlug und die ihre Singleauskopplungen wie „Videogames” in die Radios schoss. Lana hatte es schon mal versucht bei einem Indie-Label. Aber die Welle, die jetzt anrollt, hat das überspült.
Und so ist sie nun vom Himmel auf die Bühne gefallen, streicht sich zeitlupenartig mit der Hand mit überlangen Nägeln Haare aus dem Gesicht. Die Augen im Schatten der künstlichen Wimpern. In den Zügen der Ausdruck herausfordernder Langeweile. Und öffnet den Mund, dessen Lippen – sagt man – einmal viel dünner waren.
„Born To Die” heißt ihr Album. Gleich der Titelsong gleitet in die Welt der Streicherwolken, die sich über einem elektronischen Beat ballen. Dieses Album ist Musik für eine Welt nach Amy Winehouse, die den Verkleidungspop von Lady Gaga schon durchschaut hat und sich lieber Adele zuwendet, ohne hier den verruchten Kick zu bekommen. Lana Del Rey macht Musik für Hörer, die sich wünschen, man möge Sound nicht einfach mit einem Schwämmchen von der polierten Popoberfläche abwischen können. Deswegen sind da Hallspiralen-Gitarren, deswegen ist da eine Orchestrierung, die irgendetwas mit dem alten Hollywood zu tun haben scheint. Und auf Grund dieses Glamours läuft Lana unter Retro-Pop. Man muss allerdings die Ohren zustöpseln, um es sich so einfach zu machen.
Die Super-8-Schnippsel im Video zu „Videogames” zielen auf Hollywood genauso, wie da plötzlich die Skaterszene der 90er durchs Bild gleitet. „My man is a bad man” – „Off To The Races” beginnt wie eine Blues-Paraphrase, bevor ein HipHop-Beat einsetzt, der erst einmal so dumpf klingt, wie durch die Tür eines Mausoleums. James Dean, Punkrock, HipHop sind Begriffe, die in „Blue Jeans” nebeneinander schmelzen. Lana verspricht die Liebe bis an das Ende der Zeit, in Jugendbildern, die die Ikonografie von weißem T-Shirt und Jeans selbstverständlich nutzen.
Lana gliedert ihre musikalische Sozialisation ein in Gegenlichtvisionen von einem Kalifornien der 50er. Damit geht sie aber weit über die Verkitschung einer nie gelebten Vergangenheit hinaus. Und macht dem heutigen Pophörer das verblüffende Angebot, die eigene, unmittelbare Lebenserfahrung schon mit milder Patina zu überziehen. Ihre Hörerschaft werden damit erst Menschen ab Mitte 20 sein. Bei ihnen aber setzt die Endorphinausschüttung ein.
Im Zentrum des Klangs steht immer eine Stimme, die aus dem Finstern tritt. Magnetisch – diese Mischung aus Jugendtimbre und Schattigkeit, die das Altern vorwegnimmt. Eine frühreife Leistung, die im letzten Song „This It What Makes Us Girls” zwischen Orchester und R’n’B die Lolita-Erinnerung an „sweet sixteen” aufreißt. Nicht lange: „That’s where the beginning of the end begun”, singt Lana Del Rey. „Jeder wusste, dass wir zuviel Spaß haben.” Es sind diese Momente, wo sich Ahnung materialisiert und in den Augen des Mädchens die Drohung einer Femme fatale aus einem Film noir zu spüren ist. Sie steht in einer verdorbenen Welt, in der „Geld die Hymne des Erfolges” ist – „National Anthem” – und feiert einen Pop, der sich HipHop und Chöre mit kaltem Lächeln unterwirft.
Lana Del Rey: „Born To Die” (Universal)
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