Jäger und Obstsammler
Wer sich vom Bewußtseinsstrom eines Mannes im Supermarkt dahintreiben lässt, wird von David Wagners Roman „Vier Äpfel“ am Ende belohnt
Mein Einkaufswagen ist ein EL 240, Er ist siebenundzwanzig Kilogramm schwer, hundertzehn Zentimeter lang und sechzig Zentimeter breit“. Wer Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ zum Gähnen fand, der wird sich mit David Wagner erst mal anfreunden müssen.
Sein Roman „Vier Äpfel“ besteht nämlich aus einem ähnlich geschwätzigen Bewusstseinsstrom. Nur dass sich das Äquivalent zu Franz Biberkopf durch ein denkbar banales Umfeld bewegt: einen Supermarkt. Dort kauft der Ich-Erzähler vier Äpfel und hält den Tag für einen besonderen, als er sieht, dass sie zusammen genau 1000 Gramm wiegen.
Von da an geht es durch die verschiedenen Abteilungen. Anfangs klammert sich die Erzählung viel zu sehr an diese nichtexistente Handlung und beschreibt minutiös die Details, ob sie nun dadurch interessant werden oder nicht. Das Einzige, was einen beim Lesen vom Einnicken abhält, ist der ärgerliche Gedanke an die Bäume, die für diese Seiten ihr Leben lassen mussten.
Liest man sich fest? Oder ändert sich das Buch?
Doch dann, es geschieht recht plötzlich, löst sich Wagner von einer sturen Betrachtung der Honiggläser. Ab diesem Moment ist das Buch das Opfer der Bäume wert. Denn die scharf beobachteten Erlebnisse werden mit Erinnerungen und Tagträumen verknüpft. Davon, wie er im Supermarkt eine Frau kennenlernt, die die gleichen Dinge im Wagen hat. Alles wäre perfekt. „Aber ich weiß schon, am Ende stört mich, dass sie raucht, oder sie stört, dass ich rauche oder eben nicht rauche, oder mich stört, dass sie darauf besteht, Tiefkühlpizza mit Messer und Gabel zu essen, oder sie stört, dass der Fernseher läuft oder nicht läuft, oder mich stört das Programm, das sie so gerne schaut, oder sie hängt noch an ihrem Ex-Mann oder Ex-Freund oder findet, dass ich L. zu sehr hinterhertrauere.“
Was den letzten Punkt betrifft, hätte die Dame recht. Denn alles im Supermarkt erinnert den Erzähler an L., die vor Jahren bei ihm ausgezogen ist und ein nicht kleiner werdendes Loch hinterlassen hat. Doch es gibt auch von ihr unbelastete Einkaufsaspekte. Sei es das Dilemma zwischen Bio- und normalen Produkten, die möglicherweise nicht so weit fliegen mussten und deshalb eine bessere CO2-Bilanz aufweisen oder ein gewisser Einkaufsatavismus: „Manchmal kommt es mir vor, als könnte ich mich ans Jagen erinnern, einen Speer in der Hand, unterwegs in der Savanne. Eine Million Jahre Jagen und Sammeln, achttausend Jahre Landwirtschaft, neunzig Jahre Supermarkt. Kein Wunder, dass ich verwirrt bin, es ging doch alles ziemlich schnell." Wenn Wagner gleich so losgelegt hätte, hätte sein Roman ein noch größeres Lob verdient.
Julia Bähr
David Wagner: „Vier Äpfel“ (Rowohlt, 159 S., 17.90 Euro)
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