Paola Cortellesi zeigt Italien im Aufbruch: "Morgen ist auch noch ein Tag"
Wenn der Film mit einer Ohrfeige beginnt, liegt eine Tragödie nahe, oder? Es ist Morgen, man sieht ein Ehepaar erwachen. Man ahnt, dass er nachts erst spät - von woher auch immer - ins Bett gestiegen ist. Jedenfalls fängt sie erst einmal eine - grundlos, damit klar ist, wer Herr im Hause ist. Es ist eine rituelle Machtdemonstration des Mannes ( gespielt vom sympathischen Filmstar Valerio Mastandrea) .
Es gibt ein besseres Morgen - besonders für die Frauen
Delia wird nett bleiben, aufstehen, die Fenster des Souterrains öffnen, wo sie mit Mann, zwei jüngeren Söhnen und der älteren Tochter lebt. Ein Hund pinkelt ans Fenstereck, aber es ist ein sonniger Tag in Rom und aus dem Radio tönt der Schlager "Morgen kommt das Glück", wozu Delia summt, während sie die ärmlichen Schulbrote für ihre Jungmacho-Jungs liebevoll zurechtmacht. Für die Tochter ist kein Geld da, um sie in die Schule zu schicken, auch wenn Delia sich in zig Nebenjobs sich abrackert, aber der Mann nimmt es ihr immer ab. "C' è ancora domani" heißt Paola Cortellesis Film im Original, was hoffnungsvoll meint, dass es ein besseres Morgen gibt - womit der Film dann auch endet.

Eine familiäre italienische Nachkriegswirklichkeit
In den zwei Stunden dazwischen fächert Cortellesi (auch als Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin) eine familiäre italienische Nachkriegswirklichkeit auf. Die ist realistisch hart, aber auch kunstvoll durchbrochen. Schon am morgendlichen Weg zu einem ihrer Gelegenheitsjobs im modernen Haushalt eines Notars geht Delia viele Minuten ohne Schnitt ihre Straße entlang: an Hauseingängen, Brunnen und Fenstern vorbei und über schöne Plätze, während in Zeitlupe tonlos ein durchstilisiertes und durchaus auch pittoreskes italienisches Nachkriegspanoptikum vorbeizieht - von Gemüsehändlerinnen über spielende Kinder, Krückengeher und Hehler bis hin zu amerikanischen GIs, darunter ein Schwarzer, den sie später ansprechen wird.
Häusliche Gewalt in einem Tango aufgefangen
Natürlich erinnern die Bilder an den italienischen Neorealismus, der sich um soziale Realitäten kümmerte, wie in Roberto Rossellinis "Rom offene Stadt". Der wurde 1945 gedreht, das Jahr in dem jetzt "Morgen ist auch noch ein Tag" spielt. Aber hier glänzt das Schwarzweiß märchenhaft silbern von der Leinwand. Und ein weiterer Akt häuslicher Gewalt wird - fast komödiantisch - in einem Tango aufgefangen, einerseits mildernd und in seiner surrealen Überhöhung doch auch doppelt grausam.
Cortellesi hat für ihren Film, der in Italien alle amerikanischen Blockbuster in der Publikumsgunst überflügelte, mit ihrer Großmutter und deren Freundinnen gesprochen. Und so gibt es auch viele Gegenfiguren auf männlicher wie weiblicher Seite: resolute, gewitzte Frauen und empathische Männer. Zwei werden Delia eine Brücke in eine andere, liebevollere Zukunft anbieten, wie im freieren, reicheren Norden.

Beileid als Theater und Heuchelei
Aber wird - ganz klassisch wie in italienischen Opern - ein mysteriöser Brief sie verraten? Wird sie fliehen, als italienische Mama ihre Kinder im Stick lassen? Vielleicht. Aber dann läuft erst einmal alles gegen sie - wie der ungünstige Zeitpunkt des Todes des von ihr gepflegten tyrannischen Schwiegervaters. In den Trauerritualen der ganzen Nachbarschaft und Familie kommt dann auch noch die, auch religiöse, Heuchelei zum Vorschein, wenn auch hier mit viel Witz.
Cortellesis Film hat eine klare weibliche Sicht, die aber nicht zu simpel feministisch ist. Und er hat bei aller Spannung und dem Prekären der Verhältnisse immer auch etwas Tänzerisches, so auch ganz konkret, wenn der Geschmack eines amerikanischen Schokoriegels einen traumhaften Tanz auslöst. Und selbst der gerade erst abgeschüttelte Faschismus blitzt immer nur kurz in Nebensätzen auf. Und weil morgen auch noch ein Tag ist, weiß man, dass der Kreislauf aus Gewalt und Abhängigkeiten durchbrochen werden wird, wenn sich Delia am Ende schön macht, den amerikanischen Lippenstift aufträgt, vor einem atemberaubenden Showdown mit überraschender Wendung.
Kino: ABC, City, Maxim sowie Arri, Arena, Maxim (alle auch OmU), Theatiner (OmU)
R: Paola Cortellesi (I, 118 Min.)
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