Ist Rubens der bessere Tizian?
Die Alte Pinakothek zeigt in einer kleinen Schau mit hochkarätigen Leihgaben die Auseinandersetzung des Flamen mit den Werken des Venezianers – und deren Neuschöpfung
Ach wie keusch und rührend ist doch Rubens’ Adam: Wie er unter Einsatz seiner Muskelkraft versucht, Eva vom Griff nach dem verbotenen Apfel abzuhalten. Aber das Weib ist wild entschlossen zur Sünde, dagegen ist der Mann machtlos. Peter Paul Rubens (1577–1640) schuf diesen Sündenfall um 1628/29 nach Tizians Original von 1550 während eines Aufenthaltes am Habsburger-Hof in Madrid. Dort war er in diplomatischer Mission unterwegs: Es ging um nichtsweniger als den Frieden zwischen Spanien und England. Doch nebenbei hatte er offenbar ausreichend Zeit, einige berühmte Werke Tizians (um 1485–1576) für seine eigene Sammlung zu kopieren. Allerdings nicht nur ein Akt der Bewunderung, sondern auch Hochmut im Sinne von: das kann ich besser.
Ein Glücksfall für München ist, dass „Adam und Eva“ jetzt neben dem Vorbild in der Alten Pinakothek zu bestaunen ist – und weitere hochkarätige Leihgaben aus Wien, Madrid und Stockholm. Rubens-Kopien vorwiegend nach Tizian, darunter Porträts wie das von Isabella d’Este, Karl V. und der „Dame in Weiß“, aber auch das vielfigurige „Venusfest“ und „Bacchanal der Andrier“.
Reinhold Baumstark, Ex-Direktor der Staatsgemäldesammlungen, wollte dem Antwerpener Meister, dessen Oeuvre hier in einzigartiger Fülle vorhanden ist, schon lange eine Ausstellung widmen, die einen nicht ganz so bekannten Aspekt beleuchtet. Jetzt, unter der Ägide seines Nachfolgers Klaus Schrenk, gelang die aufwändige Realisierung. Das Ergebnis ist eine nur zwei Säle umfassende, aber höchst aufschlussreiche und in der Konzentration wunderbar unanstrengende Schau.
Ein Meister der Beziehungskisten
Beim näheren Hinschauen wird etwa schnell klar, dass „Adam und Eva“ nicht zu Tizians besten Bildern gehörte. Was es Rubens erleichterte, dem ersten Menschenpaar mehr Sex-Appeal zu verleihen, nicht zuletzt mit antikenseligen Körpern. Und ihr Verhängnis verdichtete er durch einige Details zur packenden Story. Das Füchslein sitzt als Symbol der Wollust schon bei Tizian zu Evas Füßen; Rubens ergänzt einen Papagei hinter Adam – ist der also ein ebenso hohler Schwätzer? Die männliche Selbsterkenntnis dürfte sich in Grenzen halten, da Adam anders als Eva kein Feigenblatt vor der Scham hat, er ist also noch unschuldig.
Komplexe Beziehungskisten lagen Rubens jedenfalls, ob im Privaten, wie beim Ehebildnis mit seiner ersten Frau in der Geißblattlaube, oder den politischen Figurenkonstellationen der damals wichtigen europäischen Herrscherhäuser. Tizians Tiefenraum im „Venusfest“ hingegen interessiert ihn nicht. Aber sein Pinselstrich wurde gelöster durch die Schulung am Venezianer. Und überirdische Seligkeit schwebt auch über Rubens’ Bacchanal.
Roberta De Righi
Bis 7.2., Mi-So, 10 bis 18, Di bis 20 Uhr; Katalog 39.90 Euro