Ist Fernsehen wirklich so schlecht?

Nach der Schelte von Marcel Reich-Ranicki diskutiert Deutschland über die Qualität des Fernsehens Bildung, Langeweile, Unterhaltung: Wieviel wir davon bekommen, entscheiden wir selbst
von  Abendzeitung

Nach der Schelte von Marcel Reich-Ranicki diskutiert Deutschland über die Qualität des Fernsehens Bildung, Langeweile, Unterhaltung: Wieviel wir davon bekommen, entscheiden wir selbst

"Mensch, ist der Belmondo alt geworden“, sagte die Mama, als der französische Superstar ergraut und mit ledernem Falten-Gesicht Platz nimmt. Es sind die frühen 80er, und es läuft „Wetten, dass“. Die Familie hat einen Pflichttermin. Jaa, damals war die Fernsehwelt noch in Ordnung. Kein Trash, nicht soviel Gewalt und am Montag wissen alle, worüber sie im Büro reden sollen: über Belmondo.

Heute dagegen erklingen die Bedenkenträger: Schrott überall, Promis müssen Maden essen, prolliges Comedianvolk verwechselt eine Lockenperücke mit einem Gag. Und natürlich: Nur noch die Kohle zählt, Quote, Quote, egal um welchen Preis.

Ja, das gibt’s alles. Es gibt Sendungen, in denen betrunkene Hartz-IV-Mütter ihre Kinder zusammenbrüllen, gerne getarnt als Beraterfernsehen, weil Supernanny, Schulden-coach oder Schönheitschirurg dazukommen. Es gibt zur besten Sendezeit Shows wie „Singing Bee“, in der die dicke Janine ins Mikro jault und das Publikum grölt. Und es gibt öffentlich-rechtliche Sender, die nachmittags „Sturm der Liebe“ herumblasen und am Vorabend keine Serie zustande kriegen, die mehr Hirn hat als der „Marienhof“.

Aber, mal ohne Nostalgie: Belmondo ist nur zu „Wetten, dass“ gekommen, um seinen Film vorzustellen. Frank Elstner trug esprit-freie Moderationen vor, und der Held war am Montag ein Baggerfahrer, der ein Ei auf dem Kopf seines Kumpels platzierte und gleichzeitig mit der linken Hand zehn Bierflaschen öffnete.

Der größte Feind der Qualität ist das Zapping

Die Wahrheit ist: Das Fernsehen als Ganzes hat sich verändert, weil es das Fernsehen als Ganzes gar nicht mehr gibt. Wir haben keine drei Sender mehr, sondern dreißig. Man kann verblöden oder sich bilden, man kann sich langweilen, oder gut unterhalten. Entscheiden kann das jeder mit der Fernbedienung.

Der größte Feind der Qualität ist das Zapping. Zufalls-Berieselung bringt selten Freude. Die gute alte Fernsehzeitung bringt da durchaus was. Denn wir haben Programme, die sich lohnen. Wer daran zweifelt, sollte mal in Italien die Glotze einschalten. Da lernt man es zu schätzen, dass bei uns Günther Jauch Quizmaster ist und kein barbusiges Prostituierte, das alle zwei Minuten den „Buzzer“ drückt, der Fragen abfährt.

Wir haben gute Komödianten wie Olli Dittrich, Bastian Pastewka und Michael Kessler – nicht immer allerdings bekommen sie die richtigen Formate. Wir haben hervorragende Dokumentationen und Reportagen. Die zurecht mit dem ausgezeichnete Doku „Das Schweigen der Quandts“ über die Rolle der Unternehmerfamilie im Dritten Reich ist nicht nur hochspannend, sie hat auch eine Debatte ausgelöst. Das ZDF hat unter anderem mit „37 Grad“ eine Qualitäts-Reihe, die ARD liefert in Formaten wie „ARD exclusiv“ oder „Die Story“ regelmäßig beste Ware, leider oft zu später Sendezeit. Das sollten nicht nur Gebührenzahler zu sehen kriegen, die abends nach elf noch glotzen.

Es gibt zuverlässige Sendeplätze für gute Filme

Auch in der Fiction ist das deutsche Fernsehen besser als sein Ruf und zurecht international gefragt. Dieter Wedel bemängelt gern die Über-Kriminalisierung. Aber wir haben gute Krimis, von den Tatorten über die Polizeirufe bis zum ZDF-Samstagskrimi.

Es gibt auch Filme wie „Liesl Karlstadt und Karl Valentin“ oder wackere Projekte wie „Wir sind das Volk“. Zwar passieren der gremien-gegrämten ARD solche Schnitzer, wie „Rose“, einen hervorragenden Film mit Corinna Harfouch als Hippie-Mutter dreier Söhne, im Sommer im Spätprogramm zu zeigen. Dennoch gibt es zwei zuverlässige Plätze für gute Filme: montags im ZDF und mittwochs in der ARD. Einen Thriller wie kürzlich „Braams“, würden andere Länder ins Kino bringen. Bei uns geht er in der Außenwahrnehmung unter, weil nicht Veronica Ferres spielt, sondern der weniger glamouröse, dafür ungleich brillantere Jan Gregor Kremp.

„Späte Aussicht“, ein harter und zugleich humorvoller Film über Pflegenotstand wurde mit sechs Millionen Zuschauern belohnt und sollte die Fernsehmacher mehr Mut machen. Es wollen nämlich gar nicht alle Schrott sehen. Und manche Sender, auch Private, erkennen, dass man gar nicht mit einer einzelnen Sendung alle erreichen muss. Nach „Stromberg“ übertraf ProSieben mit „Dr. Psycho“ sich selbst und alle anderen, die sich an deutschen Serien versuchen. Die Top-Quote war es nicht, gewonnen hat ProSieben trotzdem. Und wir auch. Deswegen: Bewusst einschalten. Denn je mehr Dreck wir schauen, desto mehr wird es davon geben.

Tina Angerer

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