Intimes Tagebuch im Dreivierteltakt

Die Pianistin Alice Sara Ott über Chopin und ihre Gratwanderung zwischen der deutschen und japanischen Kultur
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Die Pianistin Alice Sara Ott über Chopin und ihre Gratwanderung zwischen der deutschen und japanischen Kultur

Mit vier machte sie erste Fingerübungen am Klavier. Als Siebenjährige siegte die gebürtige Münchnerin bei „Jugend musiziert“. Im November erfüllte sich mit Tschaikowskys Klavierkonzert ihren Kindheitstraum, einmal im Gasteig mit den Münchner Philharmonikern zu spielen. Zu Chopins 200. Geburtstag hat die Pianistin dessen sämtliche Walzer eingespielt, im März gibt sie einen Klavierabend im Prinzregententheater.

AZ: Frau Ott, alle Walzer – ist das nicht so, als fresse man die ganze Pralinenschachtel auf einmal?

ALICE SARA OTT: Im Konzert würde ich Walzer nicht hintereinander spielen. Aber ich wollte kein Patchwork-Programm aufnehmen.

Haben Sie die Walzer vor der Aufnahme auch im Konzert erprobt?

Natürlich, denn das wahre Wachstum eines Stücks beginnt erst vor dem Publikum. Nur hier ereignen sich Momente, die sich vorher nicht planen lassen und durch die ich eine Komposition dann wirklich verstehe.

Wie verstehen Sie die Walzer?

Manche Menschen empfinden bei Musik Farben oder einen Geschmack. Für mich ist es ein Duft. Ich kann nicht beschreiben, ob es Pferdeäpfel oder Rosen sind, aber beim Anhören von Alfred Cortots Aufnahme habe ich ihn gespürt. Es ist ein nostalgischer Duft, den man in unserer technischen Welt selten findet.

Kann man darauf tanzen?

Der Wiener Walzer geht eins, zwei, drei. Chopin verabscheute das. Er hat die Zwei betont, wie bei einer Mazurka. Die Walzer sind pianistisch eine Herausforderung: Normalerweise begleitet bei Klaviermusik die linke Hand die rechte. Bei den Walzern muss man erst die Harmonie und den Rhythmus mit der linken Hand verstehen und die rechte Hand daran anpassen.

Warum hat Chopin diese Walzer geschrieben?

Sie sind Charakterstücke für den Salon und zugleich ein intimes Tagebuch. Als der 19-jährige Chopin Wien besuchte, erreichte ihn die Niederschlagung des Aufstands in Polen. Er ahnte, dass er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren würde und verarbeitete seine Gefühle im Walzer op. 34, Nr. 2: Es ist ein schwermütiges Stück mit Fluchtversuchen nach Dur, die immer wieder ins Melancholische zurückfallen.

Was hat es mit dem „Minutenwalzer“ auf sich?

Er zeigt Chopins andere Seite, seinen Charme und Witz. Der Titel ist Unsinn: Der Walzer stellt das Hündchen der Schriftstellerin Georges Sand dar, mit der Chopin liiert war. Es beißt sich in den Schwanz.

Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Meine Mutter ist Japanerin, aber ich bin in München aufgewachsen. Hier halten mich viele für eine Asiatin, in Japan werde ich englisch angesprochen. Dank der Musik nimmt man mich überall freundlich auf. Sie gibt mir eine Identität. Aber ich empfinde es als Bereicherung, zwei unterschiedlichen Kulturen zu leben.

Was mögen Sie an Japan?

Mir gefällt die Atmosphäre von Kyoto mit den alten Tempeln besser als die Großstadt Tokyo. Ich mag traditionelles Sushi und Miso-Suppe. Wenn es mit dem Klavierspielen nicht weitergeht, eröffne ich vielleicht ein Sushi-Drive-In.

Was ist Ihr Lieblingsplatz in München?

Die Stelle zwischen den beiden Löwen an der Feldherrnhalle mit Blick auf die Leopoldstraße. Ich mag die vielen bayerischen Löwen in München, weil es mein Sternzeichen ist.

Robert Braunmüller

Die CD „Complete Waltzes“ erschien bei der Deutschen Grammophon. Am 25. 3. spielt die Pianistin Mendelssohn, Chopin, Beethoven und Liszt im Prinzregententheater

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