Interview mit J. K. Rowling

Zur Veröffentlichung von J.K. Rowlings erstem Romans für Erwachsene, "Ein plötzlicher Todesfall" , stellt ihr Verlag dieses Interview mit der Autorin zur Verfügung
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 Fragen und Antworten zu „Ein plötzlicher Todesfall“, gestellt von James Runcie

Ein plötzlicher Todesfall“ ist völlig anders als Harry Potter. Was hat Sie veranlasst, das Buch zu schreiben?

J.K. Rowling: Diesmal kam mir die Idee dazu in einem Flugzeug – nicht im Zug –, und ich war sofort begeistert davon. Auch in diesem Roman geht es um Moral und Sterblichkeit, wie bei Harry Potter, aber in der heutigen Zeit. Das Buch spielt in einer kleinen Gemeinde, was die ganze Bandbreite an Figuren, von Jugendlichen bis hin zu über Sechzigjährigen, umfasst. Ich mag Romane aus dem 19. Jahrhundert, bei denen eine Kleinstadt oder ein Dorf im Mittelpunkt steht. Dies ist mein Versuch einer modernen Version.

Warum haben Sie den Titel „Ein plötzlicher Todesfall“ (im Original „The Casual Vacancy“) gewählt?

Der Arbeitstitel lautete „Verantwortlich“, weil ein zentrales Thema die Verantwortung ist, die jeder von uns dafür hat, wo wir im Leben stehen – unser Glück, unsere Gesundheit und unser Wohlstand – und auch die Verantwortung, die wir gegenüber anderen Menschen haben – unseren Partnern, unseren Kindern und der Gesellschaft überhaupt. Als ich jedoch auf den Ausdruck „plötzliche Vakanz“ stieß, der korrekte Ausdruck für einen durch den Tod eines Mitglieds frei gewordenen Sitz im Gemeinderat, wusste ich sofort, dass ich meinen neuen Titel hatte. Dieser Titel spricht mich auf vielen verschiedenen Ebenen an. In erster Linie erscheint mir der Tod selbst als größte plötzliche Vakanz, denn er tritt oft ohne Fanfaren ein und schafft ein nicht zu füllendes Vakuum. Mir war auch bewusst, dass alle meine Figuren in ihrem Leben Mängel und Unzulänglichkeiten haben, die sie auf unterschiedliche Weise auszufüllen versuchen: durch Essen, Trinken, Drogen, Phantasien oder rebellisches Verhalten. Auch diese könnte man als „plötzliche Vakanzen“ bezeichnen: diese kleinen Leerstellen, derer wir uns möglicherweise nicht vollkommen bewusst sind und trotzdem meinen, sie auffüllen zu müssen.

Halten Sie den Roman für typisch britisch? Wie sehr bezieht er sich speziell auf das heutige Großbritannien und inwieweit geht er auf universelle Themen ein?

Während der Schauplatz und die Figuren durch und durch englisch sind, wie ich glaube, behandle ich darüber hinaus universelle Themen. Meine gesellschaftlichen Belange sind überall relevant: Familien- und Ehekonflikte, die Spannungen zwischen Eltern und ihren Kindern, der ideologische Konflikt zwischen der Betonung auf Eigenverantwortlichkeit und staatlicher Unterstützung.

Das Buch handelt von einer gespaltenen Gemeinschaft – und eine dieser Spaltungen besteht zwischen Erwachsenen und Kindern – warum?

Da es den Familien in entwickelten, westlichen Gesellschaften zunehmend an Zeit fehlt, wachsen Kinder und Jugendliche anders auf als diejenigen von uns, die in den fünfziger und sechziger Jahren groß wurden. Außerdem besteht zwischen den Generationen eine große Kluft, wenn es um Kommunikation geht. Facebook, Twitter und SMS sind die Domäne der Jugend, und ich halte es für eine der Herausforderungen heutiger Eltern – mehr noch als in vorherigen Generationen –, die Thematik der sozialen Medien, mit denen Erwachsene oft nicht sonderlich vertraut sind, vollkommen zu begreifen.

Was reizt Sie daran, über Jugendliche zu schreiben?

Ich glaube, es ist die Zerbrechlichkeit, die Unsicherheit in der Pubertät, obwohl Teenager oft als gefährlich und destruktiv stigmatisiert werden. Es ist eine Zeit des Lebens, in der man sehr verletzlich ist. Wenn man die Kindheit hinter sich lässt, erkennt man, dass man dieses Leben leben muss, mit allem, was dazu gehört. Man wird sich des Lebens bewusst, der vergehenden Zeit, und das auf eine Weise, die einem Kind nicht so bewusst ist. Teenager haben oft Eltern mittleren Alters, also entsteht in der Familie diese explosive Verbindung zwischen den Jugendlichen, die plötzlich erkennen, dass sie Entscheidungen im Leben treffen und Verantwortung für die Form ihres Lebens übernehmen müssen, und den Eltern, die vielleicht ihre eigenen Entscheidungen bedauern, während ihnen die eigene Sterblichkeit zunehmend bewusst wird. Das kann zu einer sehr brisanten Mischung werden – und wird es sicherlich in diesem Roman.

Sie greifen schwerwiegende Themen im Buch auf, wie Selbstverstümmelung, sexuelles Experimentieren, Drogenmissbrauch und Vergewaltigung. Wie haben Sie dazu recherchiert?

Ich habe zu diesem Buch nicht in dem Sinne recherchiert, dass ich hinausgegangen bin und sozusagen vor Ort nachgeforscht habe. Obwohl es eine erfundene Geschichte ist (keine der Figuren basiert auf einem lebenden Vorbild), habe ich im Laufe meines etwas ungewöhnlichen Lebens durchaus Menschen wie diese Figuren kennengelernt. Es gab eine Zeit, in der ich sehr, sehr arm war. Zum Glück hat sich das Blatt für mich vollkommen gewendet, wofür ich sehr dankbar bin. Aber ich habe Menschen gekannt, die genauso sind wie jede einzelne Figur in meinem Buch.

 Wie weit ist Ihre Erfahrung als Mutter in das Schreiben eingeflossen?

In diesem Roman gibt es eine Vielzahl von Müttern. Drei der Figuren sind ungewollt schwanger geworden, und im Zusammenhang mit meinem Thema der Verantwortung war das eine Gelegenheit zu erkunden, wie sehr die Biologie das Leben einer Frau beeinflusst, selbst in der heutigen Zeit der Verhütungsmittel. Im Buch gibt es wohlmeinende Eltern, aber insgesamt würde ich sagen, dass alle fünf meiner jugendlichen Figuren bis zu einem gewissen Grad unter den Fehlern ihrer Eltern gelitten haben. Zum Beispiel habe ich einen Haushalt beschrieben, in dem beide Eltern Ärzte sind und der Erfolgsdruck an die nächste Generation weitergegeben wird: auch die Kinder müssen erfolgreich sein. Typischer Mittelschichtsdruck! Am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums steht ein Teenager, ein Mädchen aus einer extrem benachteiligten Familie, das seine eigene Mutter bemuttern muss. Aber Kinder großzuziehen ist das Schwierigste der Welt, und ich glaube, es würde uns allen helfen, das anzuerkennen!

Besteht darin die zentrale Spannung des Buches?

Das ist eine der Ursachen der Spannungen, aber es gibt noch andere Wurzeln für Konflikte, zum Beispiel den Widerstreit zwischen den Forderungen des Familien- und des Arbeitslebens. Der Grundkonflikt ist jedoch das seit langer Zeit bestehende Aufeinanderprallen unterschiedlicher Wertvorstellungen in Pagford, einer hübschen, ländlichen Kleinstadt, die aber auch die Verantwortung für eine Sozialsiedlung hat, in der Arbeitslosigkeit und Drogensucht grassieren.

Was können Sie Menschen sagen, die auf etwas gehofft hatten, das mehr an Harry Potter angelehnt ist?

Als Schriftstellerin sollte man das schreiben, was man schreiben möchte, oder besser gesagt, was man schreiben muss. Ich musste dieses Buch schreiben. Daher hoffe ich, dass es manchen Menschen gefällt. Ich kann damit leben, wenn es dem einen oder anderen vielleicht nicht gefällt, und ich bin keineswegs böse, wenn jemand mehr Harry Potter möchte. Das verstehe ich als Kompliment! Ich werde mit Sicherheit wieder für Kinder schreiben, weil ich das sehr gerne tue und bezweifle, dass ich jemals aufhören werde. ©The Blair Partnership

 

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