Interimsphilharmonie in Sendling: Ein cooler Ort mit neuen Formaten

Dieter Reiter und Valery Gergiev besichtigen die Interimsphilharmonie in Sendling, die Anfang Oktober eröffnet wird.
von  Robert Braunmüller
Die neue Isarphilharmonie mit der denkmalgeschützten, 100 Jahre alten Halle E, die als Foyer und variable Spielstätte dienen wird.
Die neue Isarphilharmonie mit der denkmalgeschützten, 100 Jahre alten Halle E, die als Foyer und variable Spielstätte dienen wird. © Gasteig, gmp Architekten

München - Der Satz des Tages kam doch nicht vom Oberbürgermeister, sondern vom Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker: "Acht Jahre hat man mir in London einen Konzertsaal versprochen", sagte Valery Gergiev.

"Simon Rattle, mein Nachfolger beim London Symphony Orchestra, hat dann noch einmal vergeblich fünf Jahre gewartet. In München baut man so etwas in zwei Jahren."

Einheimische wissen, dass nicht auf allen Baustellen Münchens so schnell gebaut wird wie auf dem Interimsgelände für den Gasteig gegenüber dem Heizkraftwerk Süd. Dieter Reiter lobte nicht nur das Tempo und den eingehaltenen Kostenrahmen.

Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner mit Valery Gergiev und Dieter Reiter in der künftigen Isarphilharmonie.
Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner mit Valery Gergiev und Dieter Reiter in der künftigen Isarphilharmonie. © Robert Haas

Kultur wird in München groß geschrieben

Eine Stadt, die ein Kulturzentrum saniere, ein Interim errichte und gleichzeitig auch noch das Volkstheater baue, dürfte es in Deutschland kein zweites Mal geben.

"Die Eröffnung des Gasteig HP8 zeigt erneut, dass Kultur in München großgeschrieben wird", sagte der Oberbürgermeister nach dem Rundgang mit Gergiev und Stephan Schütz vom Architekturbüro gmp Gerkan, Marg und Partner.

"Unsere Stadt gewinnt für die Zeit der Sanierung des Gasteig einen neuen Ort der Inspiration und des Austauschs, der unsere kulturelle Landschaft auf wichtige Weise prägen und erweitern wird."

Am 8. Oktober soll die Eröffnung stattfinden

Reiter rechnet mit einer pünktlichen Eröffnung zum 8. Oktober. Er vergaß in seiner Freude über den Baufortschritt auch nicht die schwierige Lage vieler Schauspieler und Musiker, die mangels Auftrittsmöglichkeit in Existenznöten sind.

Der Oberbürgermeister hofft auf eine baldige Öffnung der Spielstätten und verwies auf die Fortsetzung der Hilfsprogramme durch den Freistaat.

Der neue Konzertsaal mit 1.900 Plätzen neben der denkmalgeschützten Trafohalle wirkt auch im unfertigen Zustand kaum wie ein Provisorium.

Auf die Frage, ob damit nicht der geplante Neubau des Freistaats im Werksviertel überflüssig werde, auf den das demnächst von Simon Rattle geleitete Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seit 15 Jahren hinarbeitet, antwortete Reiter eher ausweichend: Dieser Bau sei Sache des Freistaats. Er sei zu jedem Gespräch bereit, man sei jedoch noch nicht auf ihn zugegangen.

Die Baustelle aus der Luft.
Die Baustelle aus der Luft. © Nüssli Gruppe / Manfred Jahreiss

Herzstück ist die alte Trafohalle

Kernstück des Komplexes aus der Interims-Philharmonie und den sie umgebenden Modulbauten ist die Halle, die ehemalige Trafohalle.

Viele Funktionen und Nutzungen laufen dort zusammen: Foyer der Isarphilharmonie, Quartier der Stadtbibliothek, Anmeldung und Galerie der Volkshochschule, Veranstaltungssaal, Kulturvermittlung, Lesecafé, Ticketverkauf und Pausengastronomie.

Reiter lobt die Halle als "coolen Ort"

Der Oberbürgermeister lobte die Halle E als "coolen Ort", an dem der Gasteig die künftig nach der Rückkehr an den alten Standort geplante Vernetzung der Institution erproben wird.

"Ich bin sicher, die Besucher werden künftig gerne lange vor Veranstaltungsbeginn kommen, um noch ein Buch auszuleihen, einen Drink einzunehmen oder einfach die Atmosphäre zu genießen."

Kulturreferent Anton Biebl ergänzte: "Die sich verändernden Bedürfnisse eines vielfältigen Publikums stehen im Mittelpunkt. Wir werden ihnen mit neuen Veranstaltungsformaten, partizipativen Ansätzen und Mut zum Experiment begegnen."

Musikalischer Umzug durch die Stadtviertel

Im Anschluss an den Rundgang über die Baustelle stellten die Münchner Philharmoniker ihre Pläne vor. Der Umzug wird musikalisch inszeniert und mit Konzerten im Stadtviertel vorbereitet.

Den Auftakt inszeniert einerseits Christoph Marthaler gemeinsam mit den Musikern des Orchesters. Eröffnet wird der Saal mit der zyklischen Aufführung aller Beethoven-Klavierkonzerte mit Daniil Trifonov.

Drumherum gibt es Uraufführungen von Olga Neuwirth, Thierry Escaich und Rodion Shchedrin sowie Musik von Ravel, Bartók und Strawinsky.

Am Beethoven-Zyklus soll sich auch das Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg beteiligen - in Zusammenarbeit mit dem privaten Veranstalter Münchenmusik.

Die fast fertige Isarphilharmonie in der Nähe des Heizkraftwerks Süd in Sendling.
Die fast fertige Isarphilharmonie in der Nähe des Heizkraftwerks Süd in Sendling. © RBR

Roter Faden der ersten Saison: Tanz

Den roten Faden der ersten Sendlinger Saison bilden ein die Spielzeit durchziehender "Fokus: Tanz", ein sinfonisches Schaffensportrait von Richard Strauss sowie ein Schwerpunkt mit weiteren Uraufführungen.

Auch große Werke mit dem Philharmonischen Chor sind wieder geplant: Philippe Herreweghe dirigiert Mozarts "Requiem", Paavo Järvi das "Deutsche Requiem" von Johannes Brahms. Auch Tan Duns von den Philharmonikern 2018 in Dresden uraufgeführte "Buddha-Passion" wird in München zu hören sein.

2022 steht die Aufbruchsstimmung der 1920er Jahre im Fokus

Im Februar 2022 wollen die Münchner Philharmoniker die Aufbruchsstimmung der 1920er Jahre in den Blick nehmen.

Mit dem als Grenzgänger zwischen Jazz und Klassik bekannten Dirigenten Wayne Marshall erarbeiten die Musiker ein Programm zwischen Jazz, Tanzmusik und Sinfonik. Am Abend verwandelt sich dann die Halle E in das Moka Efti Münchens.

Für Traditionalisten gibt es Abende mit Zubin Mehta, Rudolf Buchbinder und Yefim Bronfman.

So will man ein jüngeres Publikum anziehen

Ein jüngeres Publikum wollen die Orchester mit einem Wochenende rund um den Filmklassiker "2001: Space Odyssey" ansprechen, bei dem Krzysztof Urbanski nicht nur von Stanley Kubrick verwendete Werke von György Ligeti oder Richard Strauss dirigiert, sondern auch das sphärische Violinkonzert "Concentric Paths" von Thomas Adès.

Das Programm der kommenden Saison durchzieht ein starker Wille zum Aufbruch und zum Experimentieren mit neuen Konzertformaten. Das passt gut zu den Räumen in Sendling und zum nahe gelegenen neuen Volkstheater.

Von einem Interim ist kaum mehr die Rede: Die neuen Begriffe "Gasteig HP8" für die ehemalige Trafohalle und "Isarphilharmonie" für die Interims-Philharmonie sprechen da eine deutliche Sprache.

Denn wer würde einen Saal mit dem Akustikdesign von Yasuhisa Toyota wieder abreißen, wenn er gut klingt?

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