"Inglorious Basterds" feiert Premiere in Cannes

Bei den Filmfestspielen in Cannes feiert Quentin Tarantinos Kriegsfilm "Inglorious Basterds" Weltpremiere. Der Streifen setzt sich über das Nazi-Filmklischee hinweg und könnte, auch dank deutscher Schauspieler, der große Gewinner in Cannes sein.
von  Abendzeitung

Bei den Filmfestspielen in Cannes feiert Quentin Tarantinos Kriegsfilm "Inglorious Basterds" Weltpremiere. Der Streifen setzt sich über das Nazi-Filmklischee hinweg und könnte, auch dank deutscher Schauspieler, der große Gewinner in Cannes sein.

An diesem Morgen ist Cannes im Ausnahmezustand. Tumulte gab es schon vor den Absperrungsgittern, als selbst hoch akkreditierte Journalisten nicht mehr ins Kino kamen: Wegen Überfüllung geschlossen – alle wollten sehen, was Trash- und Splatter-Meister Tarantino mit einem der heikelsten geschichtlichen Themen gemacht hat, Frankreich unter der deutschen Besatzung: aufgemotzte brutale Billig-Phantasien wie in „Pulp Fiction“ oder überästhetisierten Horror-Tötungsorgien wie in „Kill Bill“ – Geschmacklosigkeiten jetzt mit Nazis, Franzosen und Juden?

Aber es geschah ein Tarantino-Verwandlungs-Wunder. Nach zweidreiviertel packenden, nicht eine Minute langweiligen Filmstunden, mischte sich mit sprachlos überraschtem Schweigen der Applaus derjenigen, die gemerkt hatten, dass hier ein ernsthafter, auf makabere, aber zulässige Weise auch amüsanter Film einen Befreiungsschlag gemacht hat. Zwar gilt: Immer noch spritzt bei Tarantino wie in einem B-Movie viel Theaterblut, sieht man wie die „Inglorious Basterds“ - eine jüdisch-amerkanische Haudegen-Elitetruppe – gefangene SS-Offiziere skalpiert. Aber das sind nur bizarre Szenen am Rande.

Denn überwiegend sieht man einen fantastisch kunstvoll durchstilisierten, ernst zu nehmenden Kriegs-Thriller – mit mehr historischer Wahrheit als so machen lieb sein könnte. Wer sich bequem eingerichtet hat im Nazi-Filmklischee vom dumm-brutalen Nazi-Deutschen oder im Betroffenheitskitsch, bekommt jetzt starken Tobak, garniert mit beißendem Sarkasmus und schwarzem Humor.

Pervers kultivierte Schlächter statt primitive Nazi-Schweine

Aber gerade durch den Befreiungsschlag vom politisch Korrekten kommt Tarantino der Wahrheit näher: Man sieht nicht primitive Nazi-Schweine fanatisch ihre barbarische Mission erfüllen, sondern begegnet schockierend hochgebildeten, pervers kultivierten Schlächter, die galant Französisch parlieren, auf Englisch verhören und falsches Italienisch entlarven, guten Wein zu schätzen wissen. Der Bildungbürger als Täter – das ist die skandalöse Teil-Wahrheit, die Tarantino uns zumutet und sich damit genau von zum Beispiel einer „Vorleser“-Konstruktion absetzt.

In „Inglorious Basterds" brillieren vor allem die deutschsprachigen Schauspieler, allen voran der Österreicher Christoph Waltz. Er spielt einen unbestechlich intelligenten SS-Offizier, den extrem effektiven und detektivischen Juden-Jäger und brillanten Taktierer Landa, der sogar rechtzeitig versteht, zynisch die Seite zu wechseln. Er lässt sich diesen Wechsel gut bezahlen lässt und verlangt – zynisch - den höchsten amerikanischen Orden. Solche Anspielungen auf hohe Nazis, die auf der anderen Seite weiterarbeiteten, sind eine erfrischende Provokation. Und man denkt unwillkürlich an historische Figuren wie den NS-Juden-„Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, der für die CIA weiterarbeitete.

Nazi-Interpretation sorgt für Zündstoff

Was den Film für den amerikanischen Markt zusätzlich sperrig macht ist, dass der Film so gedreht wurde, wie in der Szene im besetzten Frankreich original hätte gesprochen werden müssen: überwiegend Französisch und Deutsch, was aber – bei aller Stilisierung – ein Echtheitsgefühl aufkommen lässt und nur wenig Raum für Englisch ließ. Dazu passt, dass Christoph Waltz den Hollywoodstar Brad Pitt mühelos an die Wand spielt, der den lässig konsequenten amerikanischen Leutnant der Guerilla-Truppe spielt, aber nur ein Klischee des amerikanischen Helden abgeben darf: tapfer, ehrlich, wenn es sein muss, durchaus hart, aber letztlich naiv, kaugummi kauend fast unkultiviert verglichen mit den bestialischen Nazi-bourgeoisen Typen – vom Bubi-Gesicht Brühl, der einen sentimental-brutalen Typus und Kriegshelden spielen darf, bis zum eiskalten, aber messerscharf denkenden SS-Typ, den August Diehl verkörpert. Immer sind die Besatzer die gespenstisch-Galanten, letztlich intelligenteren Figuren. Diese Nazi-Interpretation hat für Zündstoff gesorgt.

Dass Tarantino Adolf Hitler mit dem Berliner Theaterstar Martin Wuttke besetzt hat, war ein genialer Schachzug. Denn Wuttke hat Hitler schon in der Brechtschen Brechung als „Atturo Ui“ am Berliner Ensemble atemberaubend radikal und hypnotisch gespielt. Auch in „Inglorious Bastards“ gelingen ihm komische Alptraum-Szenen, wie der amüsierte „Führer“ im Kino, wie er sich eine Feind-Abknall-Orgie in einem Helden-Kriegsfilm anschaut.

Tarantino hat es geschafft, dem Festival in Cannes den entscheidenen Stoß zu geben, den es braucht, um nicht selbstgefällig im Cineasten-Geplänkel zu ersticken. Tarantino einzuladen war ein Wagnis. Denn fast jeder hier, hatte dem Thema völlig unangemessene grausame Albernheiten erwartet. Jetzt könnte genau dieser Film am Sontag bei der Preisverleihung abräumen, wenn der Jury das Thema nicht zu heikel ist.

Adrian Prechtel

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