In Verona muss man klotzen
Giacomo Puccinis „Turandot“ in Franco Zeffirellis Regie eröffnet die Saison in der Arena di Verona
Über den Köpfen der Sternenhimmel. Auf den Rängen ein paar Kerzen. Im Parkett die Abendkleider, und auf der Bühne: Puccini. Auf der Skala perfekter Abende spielt die Arena di Verona als Schauplatz ganz vorne mit. Wer hierher kommt, erwartet keine intime Neuinterpretation. Er sucht Bombast, Atmosphäre und Gassenhauer. Das ist auch bei der neuen Inszenierung dieses Jahres gegeben: Regie-Legende Franco Zeffirelli bringt „Turandot“ auf die größte Freilicht-Opernbühne der Welt.
Die Arena zeigt heuer ausschließlich Inszenierungen des Altmeisters, der für seine Verfilmung von „Romeo und Julia“ für einen Oscar nominiert war. „Aida“, „Carmen“, „Il Trovatore“ und „Madama Butterfly“ wurden wiederaufgenommen. Auf letztere freuen sich die Einheimischen besonders, weil sie noch nicht häufig gespielt wurde – jeder Veroneser, den man fragt, möchte sich unbedingt die „Butterfly“ ansehen.
Doch „Turandot“, die grausame chinesische Prinzessin mit den hohen Ansprüchen, muss sich vor dieser Konkurrenz nicht verstecken. Die ukrainische Sopranistin Maria Guleghina als Turandot, der italienische Tenor Marco Berti als Tartarenprinz Calaf und die georgische Sopranistin Tamar Iveri als Sklavin Liù singen ihrem Publikum die Tränen in die Augen. Der Sieg der Liebe über Stolz, Herrschsucht und Egoismus wird nach allen Regeln der Kunst zelebriert. Einzig das etwas unvermittelte Ende schmälert den Genuss, denn Zeffirelli hat sich entschlossen, die nach Puccinis Tod von seinem Schüler Franco Alfano vollendete Schlussszene wegzulassen. Turandots Sinneswandel gerät daher sehr abrupt.
Ein Raunen geht durch die Zuschauer
Dafür schwebt „Nessun dorma“, die berühmteste Arie, tiefgründig durch das Rund der Arena. Noch immer wird hier ohne Mikrofone gesungen. Die unglaubliche Akustik macht es möglich: Jeder Ton ist deutlich zu hören. Der hinreißendste Moment der Inszenierung ist allerdings nicht den Sängern oder dem Orchester unter der Leitung von Giuliano Carella zu verdanken. Für den sorgt die Hydraulik. In dem Moment, da die Mauern von Turandots Palast auseinander gleiten und den Blick frei machen auf golden glänzende Treppen voller Tänzer in Seidengewändern, geht ein Raunen durch die Arena. Das Bühnenbild verkündet auf beeindruckende Weise eine Erkenntnis, die das alte China und Italien verbindet: Geradezu obszöne Protzigkeit und leichte Eleganz müssen einander nicht ausschließen.
Ausgerechnet jene, die diese Prachtkulisse schufen, haben sich vor der Aufführung auf der Bühne versammelt, um zu protestieren. Die Bühnenarbeiter erheben sich, unterstützt von den zahlreichen Statisten und Chorsängern, gegen die schlechte Bezahlung und die miserablen Arbeitsbedingungen. Das tun sie auf sehr italienische Weise: Sie singen die Nationalhymne. Tatsächlich hat die Arena di Verona nach ein paar verregneten Sommern und Subventionskürzungen mit Finanzproblemen zu kämpfen, die die Gehälter sicher nicht verbessern. Was die Arbeitsbedingungen angeht, zeigt sich das Pensum nach dem Schlussakt: Das Publikum geht nach Hause, die Arbeiter bauen die Kulissen ab. Vor der Arena wartet schon das Bühnenbild für „Aida“, das am nächsten Morgen fertig aufgebaut sein muss für die Proben. Die Arbeiten dauern die ganze Nacht. Keiner schläft.
Julia Bähr
Arena di Verona, „Turandot“. 1., 16., 24. und 30. 7., 13. und 20.8.; Tel. 0039-045-8005151 oder www.arena.it