In München kam die nächste Stufe
Marcel Duchamps folgenreicher des Jahres 1912 ist jetzt im Kunstbau des Lenbachhauses aufbereitet
Er muss sich lausig gefühlt haben. Unglücklich verliebt in die Frau des besten Freundes und dann noch der Ärger mit den Kubisten. Marcel Duchamp (1887-1968) war zerknirscht, sein „Akt, eine Treppe herabsteigend, Nr. 2“ kam ihnen viel zu bewegt daher, zu futuristisch. Deshalb zog er sein bald epochemachendes Bild noch vor der Vernissage aus dem Salon des Indépendants zurück – und suchte das Weite.
Aus dem hektischen Paris hat ihn der Tiermaler Max Bergmann ins gemütliche München gelockt. Im Juni 1912 war das, vor hundert Jahren also, und diese Station sollte eine ganz entscheidende werden: der „Ort meiner völligen Befreiung“, zog Duchamp sehr viel später sein Lebensresümée. Im Kunstbau des Lenbachhauses ist dieser dreimonatige Akt der Befreiung nun so feinsinnig wie anspruchsvoll aufbereitet.
Motoren machen mächtig Eindruck auf den Maler
Man weiß ja nichts Genaues, vieles bleibt im Diffusen. Wenngleich einiges dafür spricht, dass Duchamp in München auf dem direkten Weg zum Readymade war. Wieder in Paris montiert er 1913 ein Rad auf einen Küchenhocker. Und fertig war der Bildersturm. Es folgen das Urinal und der berühmte Flaschentrockner. Damit hat Duchamp die gängige Vorstellung von Kunst radikal verändert. Und natürlich wäre es reizvoll, einen solchen Erdrutsch an Konkretem zu verhaken. Doch die Ausstellung gönnt sich Leerstellen. Neben wenigen sensationellen Exponaten Duchamps (vom „Akt“, der erstmals in Deutschland zu sehen ist, bis zur offiziellen Rekonstruktion des „Großen Glases“) wird vielmehr das zu fassen versucht, was damals in der Luft lag. Die Bayerische Gewerbeschau, Karl Valentin, die Bierpaläste, Kandinsky und „Das Geistige in der Kunst“...
In In München wohnt der Franzose bei einem Ingenieur an der Barerstraße 65. Mit dem „Kuhmaler“ zieht er durch Schwabing, angeblich trifft er keine Menschenseele, auch nicht die Kollegen vom Blauen Reiter. Stattdessen besucht er täglich die Alte Pinakothek, fasziniert von Cranach. Doch genauso ziehen den 24-Jährigen Maschinen und Motoren im Deutschen Museum an. Erinnert „Der Übergang von der Jungfrau zur Braut“ noch an den Treppen-Akt, gleicht die „Braut“, die Duchamp gleich darauf im August malt, einem Konstrukt aus Röhren, Trichtern und Kolben. Mechanische Elemente und Eingeweide greifen wie selbstverständlich ineinander, der aufgeschnittene Motor im zweiten Teil der Schau ist hier präsent.
Kein Künstler sei in der Lage, etwas so Schönes wie einen Propeller zu erfinden, wird Duchamp zurück in Paris betonen. Um bald die Malerei für immer an den Nagel zu hängen. Und die hoffnungslose Liebe zur Gattin seines Freundes Picabia? Hat er womöglich mit den Leinwand-Bräuten ad acta gelegt. Es muss sich einiges bewegt haben an der Isar. Das meiste in Duchamps Kopf.
Bis 15. Juli, Katalog (Schirmer/Mosel), 32 Euro im Museum
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