In die Zukunft pendeln

Von den Amerikanern zum Demokratieunterricht gegründet: Die Hochschule für Politik wird 60 Jahre alt. An der Spitze steht heute ein 72-jähriger Esoteriker, jetzt ist Rektoren-Neuwahl
von  Abendzeitung

Von den Amerikanern zum Demokratieunterricht gegründet: Die Hochschule für Politik wird 60 Jahre alt. An der Spitze steht heute ein 72-jähriger Esoteriker, jetzt ist Rektoren-Neuwahl

Wo die Ludwigstraße in Nachbarschaft zu Finanzministerium, Schumann's Bar und Küchengeschäften die Von-der-Tann-Straße kreuzt, wo in Schaufenstern luxuriöse Einrichtungsgegenstände verkauft werden, dort im Innenhof stehen Studenten, um sich die Vor-Vorlesungszigarette zu gönnen. Dass die Immobilieneignerfirma Quantum das Rauchen verboten hat, wird entspannt übersehen. „Hochschule für Politik" steht in kantigen 50er-Jahre-Lettern auf einem weißen Schild über dem Eingang.

Hier sind schon der Kabarettist Gerhard Polt und der NPD-ler Udo Voigt täglich durchgeschritten. Auch heute strömen die Studenten in die kleinen Hörsäle, vorbei am Goldfischaquarium neben der Eingangstür und vorbei an dem sprudelnden Brunnen auf der HfP-eigenen Terrasse. In den Hörsälen hängen Wandkarten, auf denen noch der Kalte Krieg tobt, wie in einem leicht realitätsfernen Paralleluniversum, weitab vom hektischen Ludwigstraßenkapitalismus.

Anarchiesymbole am Klappstuhl

Mit Technik und Elektronik steht der HfP-Rektor Peter Cornelius Mayer-Tasch auf Kriegsfuß. Die Stühle mit Metallrahmen und hölzernem Klapppult, auf jedem ein Herzchen oder Anarchiesymbol eingeritzt, will er durch Vollholzsitzmöbel austauschen lassen: Denn nach Mayer-Taschs Ansicht sollen Metallteile wie ständige Mini-Elektroschocks auf den studentischen Organismus wirken.

So ist er auch der größte Skeptiker der geplanten W-Lan-Einführung für die Institutsbibliothek. „Handies machen blöd" steht auf einem Schild an seinem Büro. Mayer-Tasch gilt unter den meisten Studenten als spiritistischer, esoterischer und damit unwissenschaftlicher Karmagläubiger. Dem „Focus“ hatte Mayer-Tasch gesagt: „Ich glaube nicht an Elektrizität, Öl und Supermärkte.“

Das war in den 90ern, als er sich noch mit Kurt Sontheimer am Geschwister-Scholl Institut der Ludwig-Maximilians-Universität verbale Kämpfe lieferte. Man beschimpfte sich als Psychopathen und unverantwortlichen Individualisten, bis Sontheimer ging und Mayer-Tasch 2002 an die Hochschule für Politik in den Rektorenstand wechselte. Jetzt steht er zur Wiederwahl, Ende Juli.

Davor aber hat er noch eine würdige 60-Jahre-Feier der Hochschule für Politik abgehalten, gestern Abend in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung im Nördlichen Schlossrondell.

Politiker, Banker, Diplomaten dozieren

Die HfP war die erste politikwissenschaftliche Nachkriegsuni in München, die amerikanischen Besatzer wollten Demokratieunterricht nach Deutschland bringen, nach dem Vorbild der „Political Science". Die HfP ist anders als die meisten Politikwissenschaftlichen Unis. Sie engagiert ihre Dozenten nebenamtlich, es sind neben renommierten Soziologie-, Rechts- und Philosophieprofessoren auch Praktiker, Diplomaten, Banker, Politiker, die eigentlich perfekte Verbindung von Theorie und Praxis. In vier Fächern werden die HfPler bis zum Diplom unterrichtet: Theorie der Politik, Recht und Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und Internationale Politik und Neueste Geschichte. Da ist aus Jura, VWL und Soziologie das Spannendste mit dabei.

Allerdings fehlt es an frischen Dozenten: Die Vertreter der Lehrbereiche sind meist im 21. Jahrhundert noch nicht angekommen und kleben an ihren Stühlen. Karl Gottfried Kindermann, eine Koryphäe der Internationalen und besonders der Ostasien-Politik, ist Anfang der 1920er Jahre geboren, Mayer-Tasch in den 30ern, ebenso Theo Stammen und Werner Gumpel.

Dabei gibt es auch an der HfP dynamische, gedanklich agile Professoren, die diese Jobs locker übernehmen könnten. Carlo Masala und Hans-Martin Schönherr-Mann beispielsweise.

Wird Mayer-Tasch wieder zum Rektor gewählt, bleibt die HfP die kleine Realitätsflucht an der Ludwigstraße. Geht er, könnte auch in der HfP eine kleine zweite Moderne einsetzen mit mehr Online-Rückmeldungen und weniger absurder Karmagläubigkeit an der Spitze.

Adrian Prechtel/lp

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