In die Herzkammer getroffen
Das Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks mit dem Pianisten Ivo Pogorelich im Prinzregententheater
Zögernd, ja schwerfällig bahnte er sich den Weg zum Hocker. Die Kammermusiker des BR-Symphonieorchesters standen eng um den Flügel, so, als wollten sie sicher stellen, dass Ivo Pogorelich nicht ausbüchsen kann. Schon sein viel zu spätes Einklimpern fand quasi vor Publikum statt – und brachte alles durcheinander. Deshalb gab’s zuerst die Zugnummer des Programms: Chopins f-moll-Klavierkonzert in der Kammerversion – das leider nicht mitgeschnitten werden durfte.
Dass sich Pogorelich nicht zwischen Wojciech Kilars slawisch abgeschmeckte Minimalismen und Tschaikowskys Streicherglitter („Souvenir de Florence“) zwängen wollte, lag bald auf der Hand. Und wurde mit jeder Note evidenter. Denn der Exzentriker schickte sich an, diesen Chopin in sämtlichen Dimensionen zu durchmessen, Grenzen auszuloten, auf der Suche nach dem Glimmen hinter den Klängen. Und die alten, vergilbten Noten vor ihm schienen weniger Erinnerungshilfe als Freischein für einen ziemlich subjektiven Trip. Die anfangs noch scharf artikulierenden BR-Streicher ließen ihren Gast bald ge- währen, lieferten fortan schöne Farben im Hintergrund. Das mag nicht jedermanns Sache sein, doch Pogorelich traf mit seinem Spiel in die Herzkammer der Partitur.
Im Larghetto konzentrierte er die Poesie, da flirrte feinster Tonstaub, unterbrochen von kruden Fortissimo-Schlägen. Ohne Pranke geht’s eben nicht. Aber da ist er oft viel näher an Chopin als die Fraktion der Samtpfoten. Und damit war der Gipfel schon erreicht, gegen den das Finale nur noch abfallen konnte. Also gab’s just diesen zweiten Satz als Zugabe. Er geriet noch freier, noch packender als im ersten Anlauf. Kaum auszudenken, was bei weiteren Wiederholungen passiert wäre.
Christa Sigg