In der Pose des Zauberers
Der Thomas-Mann-Roman „Königsallee“ von Hans Pleschinski (2013) bedient sich der Struktur des „echten“ Thomas-Mann-Romans „Lotte in Weimar“ (1939) und des zweitägigen Besuches von Thomas und Katia Mann im August 1954 in Düsseldorf. In einer „Nachbemerkung“ betont der Autor die „tatsächlichen Gegebenheiten“, auf denen sein Roman beruhe, und dankt für die angebliche Einsichtnahme in den (bislang unbekannten) Nachlass des Helden seines Buches, des aus Düsseldorf gebürtigen Klaus Heuser (1909-1994), in den sich Thomas Mann tatsächlich im Sommer 1927 auf Sylt verliebt hatte.
Klaus ist Lotte – und wieder nicht. Fakten und Fiktionen gehen in „Königsallee“ (die Düsseldorfer Prunkstraße, kurz „Kö“, ist nach demjenigen König von Preußen benannt, den die Düsseldorfer einst „mit Pferdeäpfeln beworfen“ hatten) eine eigentümliche Verbindung ein. Die Darstellung des Geschehens im Hotel Breidenbacher Hof, wo die Manns einst abgestiegen waren („elegantes Zimmer im 1. Stock, mit luxuriösem Bad“, notiert Thomas Mann im Tagebuch), erlaubt Pleschinski, die Lotte-Fabel zu übertragen und so zu tun, als sei das alles genau so möglich gewesen. Als Hotelgäste treten Klaus Heuser und dessen javanischer Freund Anwar Batak auf, die damals aber ebenso wenig in Düsseldorf waren wie die Mann-Kinder Erika und Golo oder der alte Freund Ernst Bertram, die hier nun miteinander agieren.
Wie in „Lotte in Weimar“ haben sie alle ihre längeren, dozierenden Auftritte, Erika wie Adele Schopenhauer, Bertram wie Doktor Riemer und Golo Mann wie Johann Wolfgang von Goethe unglücklicher Sohn August.
Auch die Zwergin Frl. Kückebein von den „Lübecker Nachrichten“ hat ihr Vorbild in der englischen Zeichnerin Miss Cuzzle im Lotte-Roman. Bezugsperson für alle ist Thomas Mann, den Pleschinski in einem „Siebenten Kapitel“ (tatsächlich ist es das neunte) ähnlich monologisierend auftreten lässt wie Thomas Mann seinerzeit Johann Wolfgang von Goethe im legendären „siebenten“ Kapitel von „Lotte in Weimar“.
Dass mit dem Liftboy Armand auch die Romanfigur Felix Krull eine Nebenrolle spielt, gehört zu den vielen Anspielungen auf Leben und Werk Thomas Manns, der damals im Schumann-Saal aus „Felix Krull“ vorlas. Die in Düsseldorf spielende Novelle „Die Betrogene“ (1953) kommt dagegen nur andeutungsweise vor, vermutlich, weil sie das zweite Grundmuster der „Königsallee“ darstellt. Das Roman-Geschehen zielt auf die Begegnung Thomas Manns mit Klaus Heuser, doch das fingierte Gespräch der beiden am Ende in der „Gartenfrühe“ von Schloss Benrath wirkt eher unspektakulär.
Das tatsächliche Geschehen der damaligen zwei Düsseldorfer Tage Thomas Manns ist weniger wichtig, der Besuch im Dumont-Lindemann-Archiv findet nur eine kurze Erwähnung, der Besuch des Ehepaars Mann in der Buchhandlung Schrobsdorff, ausgerechnet auf der Königsallee, kommt dagegen überhaupt nicht vor.
Dabei hätte gerade der Buchhändler Dr. Hans-Otto Mayer, dessen Thomas-Mann-Sammlung die Universitätsbibliothek Düsseldorf verwahrt, einen Gastauftritt verdient gehabt. Schickte er doch Thomas Mann einen Korb voller Bücher zum Signieren, worauf der Hotelportier am nächsten Morgen, wie sich Mayer erinnert, „fast in der Diktion des Kellners Mager aus ‚Lotte in Weimar’ anrief und bemerkte, der Herr Professor habe mit Vergnügen das Geschäft des Signierens besorgt und hoffe, damit dem Herrn Doktor gefällig gewesen zu sein“.
Doch dem Romancier Pleschinski geht es nicht um schnöde Realien als vielmehr um fantasievolle Möglichkeiten und nebenbei auch um nachkriegsdeutsche Befindlichkeiten. Dass ihm dabei ein paar Webfehler unterlaufen sind, sei nicht verschwiegen.
So äußert sich Ernst Bertram einmal Klaus Heuser gegenüber, Himmler habe Thomas Mann „für ein paar Tage zur Besinnung in ein Konzentrationslager sperren“ wollen; tatsächlich wurde Himmler von dem NS-Funktionär Hanns Johst brieflich dazu aufgefordert, Thomas Mann „eine Herbstfrische in Dachau“ zu verschaffen. Mehrfach wird sodann die Romanfigur Golo Mann als „Beißer“ angesprochen, in Anspielung auf eine Figur in Thomas Manns Novelle „Unordnung und frühes Leid“ (1925). Mit dem „Beißer“ ist dort aber eindeutig das jüngste Kind der Manns, Michael, gemeint.
Erstaunlich aber bleibt, welche literarischen Möglichkeiten der seinerzeitige kurze Düsseldorf-Besuch Thomas Manns eröffnet, wenn ihm das Roman-Korsett der „Lotte in Weimar“, viel verdrängte Erotik und einige Thomas-Mann-Zitate unterlegt werden.
Für die Pose des „Zauberers“ hat der Autor zwar viel geübt, aber das Ganze ist doch mehr kopierte Story als brillanter Stil. Der Roman einer alten Sommerliebe reicht an sein großes Vorbild nicht heran. Und ob Thomas Mann sich als Romanfigur wirklich gefallen hätte, wie am Ende kühn behauptet wird, bleibe dahingestellt.
Dirk Heißerer ist Autor etlicher Publikationen über Thomas Mann und organisiert literarische Spaziergänge durch München. Hans Pleschinki stellt seinen Roman „Königsallee“ (C.H. Beck, 390 Seiten, 19.95 Euro) am heutigen Mittwoch um 19.30 Uhr bei Literatur Moths in der Rumfordstraße 48 vor.
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