In den späten Tagen
Der größte Entertainer deutscher Sprache über Dankbarkeit, Demut, Endlichkeit und den neuen Patriotismus in unserem Lande
Jung schaut Udo Jürgens immer noch aus. Doch spurlos ist das Leben auch an ihm nicht vorbeigegangen. Am 30. September feiert der Österreicher, der heute in der Schweiz lebt, seinen 75. Geburtstag, das ZDF sendet ihm zu Ehren eine große Gala-Show mit langjährigen Weggefährten wie Alfred Biolek und Hans-Dietrich Genscher. Seinen Festtag selbst will der Entertainer mit einem Essen im engsten Freundes- und Familienkreis begehen.
AZ: Herr Jürgens, alle blicken auf die Bundestagswahl. Sie hegen, auch wenn Sie nicht wählen dürfen, Sympathien für die FDP, Hans-Dietrich Genscher ist einer der Gäste bei Ihrer Jubiläums-Gala.
UDO JÜRGENS: Das ist eine private, sehr gute Bekanntschaft zu Hans-Dietrich Genscher, aber ich kenne auch Politiker von anderen Parteien. Ich habe mich nie für irgendeine Partei engagiert, das würde ich auch aus Überzeugung nicht tun. Doch ich glaube, dass es mit unseren gesellschaftlichen Problemen unglaublich wichtig ist, dass die Menschen zur Wahl gehen; und dass wir zweitens unbedingt vermeiden müssen, dass rechtes, faschistoides Gedankengut oder auch kommunistisches Gedankengut wieder in den Köpfen der Leute herumspukt. Gerade in Deutschland, das beide Systeme erlitten hat wie kein anderes. Gerade hier sollten die Menschen davon geheilt sein.
2004 haben Sie mit Blick auf Deutschland bemerkt: Ein Problem hier sei das extrem angekratzte Selbstvertrauen, unter dem auch die Identität des Landes leide.
Das hat sich in jedem Fall verbessert! Man kann über die Politik von Frau Merkel sagen, was man will, aber sie hat eindeutig – ebenso wie die Fußball-WM 2006 in Deutschland – dazu beigetragen, dass die Menschen sich nicht mehr entschuldigen, wenn sie sagen, sie kämen aus Deutschland. Ich glaube, das ist überwunden – und das ist auch gut so. Denn Deutschland hat genug Grund, stolz auf sich zu sein, nicht nur auf seine großartigen Autos, sondern auch auf die Kultur, die dieses Land im Laufe von Jahrhunderten hervorgebracht hat: Es ist ein Kulturvolk, das sich sehr würdig in die große Tradition und in die große Familie europäischer Kulturvölker einreiht.
Aber wäre es nicht wichtig, dass sich Künstler stärker politisch engagierten?
Es ist ja seit jeher so eine Mode gewesen, dass Künstler links sind – aber warum eigentlich? Was hat linke Politik Künstlern je genutzt? Und wo hat sie vor allem auch der humanistischen Idee entscheidend genutzt? Gegen Jörg Haider in meiner Heimat Kärnten hatten die Künstler fast 20 Jahre lang gewettert – und sie haben ihn immer nur größer gemacht. Ich habe bestimmt genauso viele Gegner wie Anhänger, die mich, meine Lieder und ihre Aussagen furchtbar finden, denen ich mit einem viel zu teuren Auto herumfahre und für die ich ein Umweltverschmutzer bin. Ich glaube nicht, dass eine Vorbild-Wirkung eintritt, wenn Künstler sich politisch engagieren. Meine humanistische Haltung liest man aus meinen Antworten und Liedern.
Sie haben Ihre aktuelle, sehr erfolgreiche Tournee zum Album „Einfach ich“ das „schwerste Programm in meiner Laufbahn“ genannt. Haben Sie solche Plattitüden wirklich noch nötig?
Sie haben vollkommen Recht, das ist mit Sicherheit Quatsch. Doch wenn man sich in eine Arbeit vertieft, insbesondere ein neues Album schreibt, dann geht man durch viele Höhen und Tiefen. Und irgendwann steht man im Studio und wird mitgerissen, entweder vom Rhythmus, von der Klangfarbe des Orchesters oder auch der eigenen Begeisterung – und da redet man dann im Überschwang eben auch schon mal Blödsinn. Natürlich ist das Album nicht das beste Album, das ich je in meinem Leben gemacht habe und auch die Tournee nicht die schwerste –, aber vielleicht die professionellste, weil ich im Laufe der Jahre gelernt habe, wie wichtig Professionalität in meinem Beruf ist.
Sie feiern am 30. September Ihren 75. Geburtstag – Anlass für Sie, zurückzublicken?
Viele meiner Freunde hatten mit 30 schon ihre erste Krise, mit 40 hatten sie den nächsten Stress – ich habe nie Stress mit dem Alter gehabt. Zum ersten Mal ernsthaft darüber nachgedacht habe ich, als ich 60 wurde, beim 70. hat sich das natürlich wiederholt, denn ich habe ganz klar gesehen: Nach vorne wird es kürzer, das ist eine Sache, die nachdenklich stimmt. Andererseits ändert sich so viel in der Psyche und in der eigenen Gedankenwelt, dass dieses Alter – wenn man es gesund erleben kann, und ich habe das Glück – unglaublich viele Eindrücke mit sich bringt.
Inwiefern?
Auf der einen Seite gibt es Momente, in denen mir klar wird: Mensch Meier, noch mal, das wird aber verdammt eng jetzt, hier hinten in den späten Tagen. Und auf der anderen Seite ist da eine unerhörte Demut und Dankbarkeit, dass ich es so erlebe wie ich es erlebe. Dass ich mich heute auf die Bühne ans Klavier setzen kann, vor 10000 Leuten, das empfinde ich mit einer unglaublich großen Dankbarkeit. Mit 50 Jahren hätte ich das noch gar nicht zu schätzen gewusst.
Diese Demut und Dankbarkeit, resultieren die auch aus dem Gedanken an die eigene Endlichkeit?
Natürlich hat das damit zu tun. Da vermischt sich vieles im Denken und im Fühlen und im Träumen, in der Nacht und in der Einsamkeit und im Glück. All dies für mich selbst aufzuschlüsseln, ist keine einfache Aufgabe, aber in einem künstlerischen Beruf ist das auch inspirierend. Denn hätten wir im Leben nicht den Schmerz und die Enttäuschung, aber auch die Endlichkeit des Seins und die damit verbundene Angst, dann hätten wir keine Weltliteratur, kein großes Theater, keinen Film: denn es gäbe nichts zu erzählen.
Das klingt, als hätten Sie keine Angst vor dem Tod.
Diese Angst ist wie ein Blitz, der uns manchmal ereilt. Dann setzt du dich hin und denkst darüber nach – und dann wird dir klar, dass du viel mehr Grund hast, dankbar zu sein – und dass du diese Dinge akzeptieren musst. Natürlich ist das alles nicht einfach, aber was im Leben ist überhaupt einfach? Als ich zum ersten Mal geheiratet habe...
...das war 1964.
...da habe ich das als ganz schwierig empfunden, weil ich geahnt habe, dass ich scheitern würde: Ich war nicht der Typ des Ehemanns. Dann habe ich ein zweites Mal geheiratet und habe wieder geahnt, ich werde scheitern – aber aus diesen beiden gescheiterten Ehen habe ich fantastische Kinder. Also war es wunderbar, dass mir das Leben diese Aufgaben gestellt hat, denn als Familienvater bin ich überhaupt nicht gescheitert. Ich habe ein herrliches Verhältnis zu meinen Kindern und meinen Enkeln. Und ich bin erstaunt, was das Alter mir für Lebensperspektiven eröffnet hat und immer noch eröffnet.
Christoph Forsthoff
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