In den Lücken liegt das Glück

Ein Einsamer Tanz: Der politische Sprengstoff verpufft, allein die Poesie Pamuks treibt schöne Blüten. Lars-Ole Walburg Bühnenadaption des Romanes "Schnee" in den Kammerspielen.
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Ein Einsamer Tanz: Der politische Sprengstoff verpufft, allein die Poesie Pamuks treibt schöne Blüten. Lars-Ole Walburg Bühnenadaption des Romanes "Schnee" in den Kammerspielen.

Das Fernsehen war immer ein Glücksversprechen, einschalten und abschalten, dem Schicksal der anderen beiwohnen, ganz einfach ist das, und wenn die Übertragung fehlschlägt, bleibt die Leere, das Schneegestöber auf dem Bildschirm.

Die Bewohner der ostanatolischen Stadt Kars bleiben regelmäßig an einer Seifenoper hängen, die, ähnlich wie das Theater, Katharsis verspricht. In den Kammerspielen flimmert Kitschiges über einen, von Robert Schweer im Stile des Videokünstlers Nam June Paik aufgetürmten Fernsehhaufen. Ein Familienvater (Jochen Striebeck) schaut zu, auf der Couch hinter ihm vollziehen seine Tochter Ipek und der Dichter Ka den Liebesakt, nur in Worten, die berühren.

Auf die poetische Kraft der Prosa verlässt sich Lars-Ole Walburg in seiner Bühnenadaption von Orhan Pamuks Roman „Schnee“. Seine Inszenierung hat oft den Charakter einer Lesung, gleich zu Beginn, wenn Ka-Darsteller Bernd Moss die erste Seite liest: Kas Busreise in seine Heimat, wo er im Auftrag einer Istanbuler Zeitung eine Serie von Selbstmorden junger Musliminnen recherchieren soll. In der Erzählung beginnt der Schnee zu fallen, Moss nickt am Schreibtisch ein, der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Kas (Bühnen-)Leben – ein Traum?

Der Konflikt zwischen Islamisten und den im Geiste Atatürks aufgewachsenen, den säkularen Staat propagierenden Kemalisten konzentriert sich auf einen Kopftuchstreit und kulminiert in einem Militärputsch, dem einige gemäßigte Koran-Schüler zum Opfer fallen. Den verschiedenen Positionen räumt Pamuk in seitenlangen Dialogen gleichberechtigt Platz ein, was beim Lesen durchaus spannend, in der worttreuen Bühnenübersetzung jedoch ein Problem ist, weil die Nebenfiguren allein im Diskurs kein Leben gewinnen: Hans Kremer als kemalistischer Schauspiel-Star Sunay Zaim, Tabea Bettin als Ipeks kopftuchtragende Schwester Kadife, Bernd Grawert als keyboard-spielender Terrorist Lapislazuli – sie erzählen von ihrer Existenz und spielen sie nicht. Der Aufprall der Ideen erzeugt bei Walburg Lärm und nicht viel mehr, Sunay Zaim knattert mit der Kalaschnikow und ruft den Putsch auf der Bühne aus, Kadife klettert auf einen Tisch und fordert lauthals ihr Recht auf ein „normales“ Leben – um dann zu gehen.

Der politische Sprengstoff verpufft, allein die Poesie Pamuks treibt auch bei Walburg schöne Blüten, besonders dank des Hauptdarstellers, Bernd Moss. Sein Ka ist ein Verlorener im Schneesturm der Meinungen, ein naiver Glückssucher, aus dem das Kind mitreissend herausbricht: Mit dem Koranschüler Necip (Sebastian Weber) rutscht Ka auf dem Bauch über die Bühne, und als er wieder dichten kann, entfesselt er sich vor den Augen seiner Geliebten Ipek, in dem schönsten Moment der Inszenierung. Da trägt Ka sein Gedicht ohne Worte vor und lässt den Körper sprechen. Ein befreiter, wirbelnder Tanz.

Je weniger er von Ipek weiß, desto mehr kann er sie lieben, meint Ka. Regisseur Walburg lässt seinen Helden verschwinden, als dieser zuviel über Ipek (Annette Paulmann, von der man gerne mehr gesehen hätte) erfährt. Der Rest ist eine Seifenoper, die lapidar über die Schirme flackert, und ein allzu langer Monolog: Wolfgang Pregler berichtet als Erzähler Orhan von einer nachträglichen Spurensuche, die ins Nichts führt: Ka ist tot, sein Werk verloren. Und einsam tanzt der Schnee. Michael Stadler

Kammerspiele, Montag, 12. und 27.3., 19.30 Uhr, Tel. 233 966 00

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