"Immer wieder Neuanfang"

Der Medien-Manager und RTL-Juror Thomas Stein zieht in einem Buch Lebensbilanz. Der AZ erzählt er von seinem Vater, und was sich bei DSDS ändern muss
von  Abendzeitung

Der Medien-Manager und RTL-Juror Thomas Stein zieht in einem Buch Lebensbilanz. Der AZ erzählt er von seinem Vater, und was sich bei DSDS ändern muss

Der gebürtige Schwabe Thomas Stein (60) war Chef unter anderem von Teldec und Sony BMG. Bekannt wurde er mit der RTL-Show DSDS. Er könnte jetzt im Stress sein – immer wieder klingelt sein Handy im Salon 14 im Bayerischen Hof, wo er sein Buch vorstellt. Doch Stein bleibt cool, freundlich und bestimmt. Kaum zu glauben, dass so einer auch mal Panik hatte.

AZ: Herr Stein, Ihre Biografie beginnt mit dem Start der ersten DSDS-Sendung bei RTL. Sie brauchten als Juror vor Aufregung eine Extra-Puderschicht im Gesicht. Sind Sie ängstlicher, als man denkt?

THOMAS STEIN: Nein, die Aufregung kam ganz einfach daher, dass ich etwas tat, was bis dahin nicht meine Profession war. Ich wollte nie Künstler oder Fernsehstar werden. Dann macht es schon einen Unterschied, wenn Sie plötzlich im Rampenlicht stehen.

Sie schreiben, Sie hätten DSDS als eine völlig neue Dimension erlebt…

Mich kannten auch vor DSDS viele Leute, aber ein Millionenpublikum ist schon etwas anderes. Viele in Deutschland haben nicht mit einer so unglaublichen, überwältigenden Resonanz gerechnet. Aber ich hatte zuvor in England beobachtet, was mit so einer Sendung passieren kann.

Nun schreiben Sie DSDS quasi nachträglich ins Stammbuch, die Sendung sollte nachhaltiger arbeiten, einige Stars auch mal über mehrere Jahre aufbauen. Finden Sie damit Gehör oder sind Sie ein Rufer in der Wüste?

Es ist wohl eine Kombination aus beidem. In so einer Sendung muss man Menschen finden, die als mögliche Sieger später auch das glaubhaft verkörpern, was sie in der Sendung dem Publikum gezeigt haben. Ein Großteil von denen, die nach der Sendung erfolglos blieben, wollten plötzlich nur noch Rock oder Heavy Metal machen. Sie distanzieren sich und beleidigen damit alle, die für sie angerufen haben.

Und wie geht’s richtig?

Mark Medlock ist für mich prädestiniert, als Künstler langfristig im Markt Erfolg zu haben. Einer, der entgegen allen Vorurteilen sagt: „Der Bohlen ist ein geiler Typ und macht genau die Musik, die ich gerne repräsentiere.“ Damit bleibt er konsequent bei den Leuten, die ihn zuvor gewählt haben.

Standen Sie selbst immer hinter allem, was Sie gemacht haben? Ihr Spektrum reicht von den Fischer-Chören über Rock-Pop bis zur Klassik.

Ich habe wirklich mit allem, was ich je gemacht habe, großen Spaß gehabt. Und das sage ich jetzt nicht, damit’s nur schön klingt. Ich habe mich mit allem identifiziert und Freude gehabt. Nur so konnte ich alle kennenlernen von Gotthilf Fischer bis Luciano Pavarotti. Und ich konnte manchmal Brücken bauen zwischen verschiedenen Musikrichtungen.

Nochmal zu DSDS. Sie haben auch die Kehrseite der Popularität kennengelernt, wurden teilweise von Fans verfolgt. Was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

Körperlich ist mir zum Glück niemand nahe gekommen. Aber wenn Sie erleben, dass Ihnen jemand ausführliche Beschreibungen ihres Lebens zuschickt, mit Fotos und allem was Sie je gemacht haben, dann verliert man schon einen Teil seiner persönlichen Freiheit. Das ist belastend, denn man weiß nie, was als nächstes passiert, wenn aus einem Fan ein Stalker wird. In einem Fall verfolgt mich jemand seit mehreren Jahren.

Sie haben immer wieder Ihre Jobs gewechselt, teilweise auch abgebrochen, wenn Sie keinen Sinn mehr in einer Aufgabe sahen. Sie bekamen immer wieder eine neue Chance. Ist so eine Karriere heute überhaupt noch möglich?

Auf jeden Fall. Es gibt genug junge Leute, die bei ihrem Berufsweg Risiken eingehen, schauen Sie nur auf den ganzen Internetbereich. Ich selbst bin das größte Risiko immer dann eingegangen, wenn ich für den Job umgezogen bin, und das war etwa 30 Mal in meinem Leben.

Ist das ein Plädoyer für neoliberale Flexibilität?

Nein, aber dafür, die Chancen wahrzunehmen. Gerade jetzt, wo viele Branchen im radikalen Wandel sind. Bergbau und Stahl sind schon so gut wie weggefallen, andere werden folgen. Die Medien werden sich radikal wandeln – und bei der Musik weiß niemand, ob es in Zukunft noch eine Musikindustrie gibt.

Sie schreiben, Sie hätten schon in jungen Jahren das Fernsehen als das kommende, starke Medium gesehen. Wie geht es jetzt weiter?

Ich befürchte, dass meine Einschätzung vielen nicht gefallen wird: Das Internet wird viele andere Medien ersetzen. Es wird auch keiner mehr einen Computer mit sich herumtragen, die neuen mobilen Geräte sind erst am Anfang einer Entwicklung.

Sie kommen von der Spitze großer Medienkonzerne. Hätten Sie, wenn Sie an die schöne neue Web-Welt glauben, nicht darauf hinwirken müssen, dass sich gerade die Musikindustrie schneller dem Internet öffnet und nicht nur auf Verbote setzt?

Das stimmt nur teilweise. Ich war immer der Meinung, das der Schutz des künstlerischen Eigentums viel zu kurz kommt. Wenn nur noch raubkopiert wird, verlieren Musiker, Schreiber und Künstler ihre Existenzgrundlage. Die Frage der Zukunft ist: Wie können die Kreativen an den Einkommensströmen vernünftig beteiligt werden? Heute kann ich mit meinem I-Phone 18 Bücher für 1,99 Euro kaufen. Das finde ich als Käufer toll – aber was ist mit denen, die sie geschrieben haben?

Wird sich auch die Kultur des Musikhörens verändern?

Ein Musikkünstler wird nicht mehr in der Lage sein, sein Gesamtschaffen komplett zu präsentieren, wie das heute noch mit Alben der Fall ist. Die Werke zerfallen in einzelne Stücke, die separat konsumiert werden. Das One-Hit-Wonder, über das man sich früher lustig gemacht hat, wird zum Regelfall werden. Alles, was digitalisierbar ist, geht raus und ist weg. Auch deshalb war ich immer für einen besseren Urheberschutz.

Momentan versuchen Musiker, durch exorbitante Ticketpreise für Livekonzerte einen Ausgleich zu finden.

Ja, die Preise sind Wahnsinn. Das ist auch mir zu viel und wird nicht lange gutgehen.

Manche werfen Ihnen vor, Sie interessierten sich gar nicht für Musik und wollten nur verkaufen. Trifft Sie das?

Nein. Mir ging es immer zuerst um die Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Wer ein Herz für Menschen hat, kann auch ein Herz für Kreativität haben.

Neulich ging Gotthilf Fischer, den Sie als Vaterfigur sehen, mit 81 Jahren in der Sat1-Sendung bei Kai Pflaume tanzen. Finden Sie das in Ordnung?

Gotthilf Fischer ist einer der lebenslustigsten Menschen, die es in dieser Branche gibt. Und einer der ehrlichsten. Er sagt sich: „Mir macht’s Spaß, und es ist mir völlig egal, was die Leute denken.“ Das gefällt mir. Außerdem: Wie viele 81-Jährige werden durch ihn vielleicht sogar dazu bewegt, auch aktiv zu werden?

Ein Blick in die Vergangenheit: Ihr Vater war mit Ihrer Berufswahl gar nicht glücklich.

Nun, er wollte, dass ich Gemüsehändler werde. Und ich wollte ihm zeigen, dass ich etwas kann, das er nicht kann. Das war wirklich keine freundliche Situation. Mein Vater war aggressiv und hatte durchaus auch schlagende Argumente…

Sie schreiben darüber sehr dezent…

Man macht so etwas ja immer auch in Erinnerung an einen Menschen, den man geliebt hat. Und ich wollte es auch gegenüber meiner Mutter nicht überzogen oder falsch darstellen.

Über das Ende Ihrer allererste Ehe in fast noch jugendlichem Alter schreiben Sie: „Ich hatte das Gefühl, dass ich weitermusste.“ Ein Lebensmotto?

Ja, das Weitermüssen war immer eine Triebfeder. Und manchmal muss man sogar dann weiterziehen, obwohl es eigentlich ganz gut läuft.

Vieles deuten Sie nur an, etwa mit dem Satz: „Natürlich hatten wir Kontakt mit der ganz linken Szene. Es war eine wilde, spannende Zeit, ich lernte eine völlig neue Welt kennen.“ Hatte der heutige RTL-„Onkel Stein“ etwa damals RAF-Kontakte?

Ich arbeitete in Frankfurt für die linksorientierte Ladenkette Montanus, da lernte ich viele kennen, die zum linken Spektrum gehörten. Das ging von Heinrich Böll bis zu Freunden, die mal mit Ulrike Meinhof zusammen waren. Ich bin aber ein neutraler und realistischer Mensch, freiheitlich-demokratisch aufgewachsen.

Ganz konkret beschreiben Sie, dass Sie mal 150000 Mark abholten bei einem Pharmaunternehmen in Köln. Eine direkte Zuwendung für Ihren damaligen Arbeitgeber, die Zeitschrift „Musik und Medizin“. Ein journalistischer Bestechungs-Hammer!

Klar ist das der Hammer.

Beim ZDF wurde Ihnen offenbar vorgeworfen, zu viel zu arbeiten und damit den Betriebsfrieden zu stören.

Ja, aber was sollte ich machen? So ist das halt in solchen Systemen. Ich habe dann mit denen erstmal nur noch gewürfelt. Später hatte ich eine ganz tolle ZDF-Zeit.

Und dann bekamen Sie wegen der Gremien-Diktatur das Jauch-Syndrom?

Nein, ich bekam die Chance, die Teldec zu übernehmen.

Bei den Künstlern war Ihr Motto: „Keep the artist satisfied“, egal was er will. Falco wollte eine Edelnutte für 1500 Mark, die Sie selbst bezahlten. Ging Ihnen das nicht zu weit?

Das ist passiert, aber anderes wäre mir zu weit gegangen, etwa beim Thema Drogen. Aus solchen Sachen muss man sich konsequent heraushalten, auch als Manager. Wenn man das nicht tut, sieht man schnell in einen Abgrund, der einen einsaugen kann.

Am Ende des Buches schreiben Sie über den Krebstod Ihrer Frau. Warum?

Es fiel mir immer schwer, darüber zu sprechen. Auch jetzt noch. Ich habe aber festgestellt, wie viele Menschen bei diesem Thema Rat und Bestätigung suchen. Und zwar in einer Sprache, die sie verstehen, also nicht in der Sprache der Ärzte. Deshalb habe ich versucht, mit möglichst klaren Worten zu schildern, was mit einer solchen Krankheit auf einen zukommen kann.

Hat sich dabei auch ihr Blick aufs Business verändert?

Es ändern sich natürlich die Wichtigkeiten, die Wertigkeiten im Leben. Ich habe mir aber bei allen Schicksalsschlägen gesagt: „Du musst einen Neuanfang machen.“

Michael Grill

Thomas Stein: „Gesagt, getan“ (Ehrenwirth, 19.99 Euro).

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