Immer dieses Gewissen
Jörg Hubes Herzkasperl war Kabarett-Kult in München: Jetzt ist auf dem Trikont-Label eine Doppel-CD mit den besten Momenten aus den Programmen des wütenden Moralisten erschienen
Diese evangelische Moral, diese Rigidität, dieses Gewissen, was in einem steckt, das macht es einem dann schwer im Leben. Wenn man merkt, dass man doch Verwerfungen und Brüche hat. Weil man ständig mit diesem Gewissen konfrontiert ist. Da ham’s die Katholiken leichter, die gehn beichten und dann ist die Sache erledigt.“ 2009 war es, da dachte Jörg Hube kurz vor seinem Tod in einem Interview nach über den Kabarettisten und den „moralischen Hintergrund“ seiner eigenen Arbeit.
Nachzuhören ist das auf der jetzt bei Trikont erschienenen Doppel-CD „Herzkasperl“, einer Zusammenstellung aus den fünf Kabarettprogrammen, mit denen der Münchner Kammerspiel-Schauspieler ab 1975 die Stadt erschütterte. Kombiniert wird das mit Sequenzen, in denen Hube abseits der Bühne versucht, zu erklären, was in ihm gurgelt.
Psychologisch gnadenlose Durchmangelung des eigenen Ichs
In „Herzkasperls Her- und Hinrichtung“ träumt er 2003 im Cuvilliés Theater davon, das ganze Theater anzuzünden, dieses Weltkulturerbe. Als bayerischer Prometheus, der es ausbrennt, das ganze Elend. Einen Kindheitstraum hat dieser Herzhube-Jörgkasperl da wiedergefunden und der, das deutet er an, bringt den einen dazu, auf der Bühne zu zündeln, während der andere Bücher verbrennt. Dieser Kasperl war kein Lustigmacher, er warf sich selber in die Waagschale. Vor allem in „Herzkasperls Biograffl“, dem vierten Programm, einer psychologisch gnadenlosen Durchmangelung des eigenen Ichs. Da war der Herzkasperl schon eine meist ausverkaufte Institution der Stadt.
Der Anfang war ein Desaster gewesen, damals ’75 in der Lach- und Schießgesellschaft. Werner Schneyder und Dieter Hildebrand mussten Jörg Hube in der Pause aufrichten. Erst nach einer Pause und dem Umzug ins Fraunhofer schaffte sich Hube mit seiner Kabarettidee langsam und ehrlich nach oben.
Der Mensch und seine inwändige Gülle ist nichts
Der Handpuppenstruppi Herr von und zu Bieseleiten, mit dem sich der Herzkasperl über den Stoffwechsel des Hundes unterhielt und im klassisch fäkalischen Stoff der Kasperlfigur wühlte, war 1983 noch das Harmlosere. Ein Christkindlmarktwaffenhändler folgte, Umweltzerstörung, Asylantenhatz, und dann stieg Hube hinab in den Kindheitskeller und schaufelte nach den Ursachen, die Menschen zu Massenschlächtern machen. Sein Herzkasperl saß auf dem Scheißhaus und gerne bewarf er sein Publikum verbal mit Scheiße. Und spätestens der, der zu ihm auf die Bühne geholt wurde, begriff, dass dieses Kabarett nicht sicher war. Der Mensch und seine ganze inwändige Gülle sind, das ist der Kern von Hubes Wut, doch nichts, verglichen mit der Ekelhaftigkeit der Taten, zu denen dieses Menschlein fähig ist.
Christian Jooß
Matinee zur CD-Veröffentlichung am Sonntag, 11 Uhr, im Fraunhofer (Fraunhofer Straße 9), mit Express Brass Band, Zwirbeldirn, Franz Xaver Kroetz und anderen
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