Kritik

Im Strudel der Halbwahrheiten: "Die letzte Verschwörung" im Staatstheater Augsburg

Eine überzeugende und unterhaltsame Aufführung der neuen Oper von Moritz Eggert.
Robert Braunmüller
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Eine beliebte Verschwörungstheorie behauptet, Elvis Presley sei gar nicht tot. Daher hat der King (Avtandil Kaspeli) auch in Moritz Eggerts Oper "Die letzte Verschwörung" einen Auftritt.
Eine beliebte Verschwörungstheorie behauptet, Elvis Presley sei gar nicht tot. Daher hat der King (Avtandil Kaspeli) auch in Moritz Eggerts Oper "Die letzte Verschwörung" einen Auftritt. © Jan-Pieter Fuhr

Zeitgenössische Komponisten, sofern sie der Oper nicht generell misstrauen, vertonen am liebsten antike Mythen, abseitige Lieblingsbücher und -Filme. Oder gleich Theorietexte. Aktuelle Themen gelten als eher bäh. Was durchaus dazu geführt hat, dass potenzielle Zuschauer eher abwinken, wenn sie in ihrem Theaterabo ein Werk dieser Art entdecken.

 "Die letzte Verschwörung" im Staatstheater Augsburg: Ufos, Illuminaten, Mobilfunk

Der in München lebende und lehrende Komponist Moritz Eggert ist in dem Punkt eine Ausnahme. Er hat auch keine Angst vor Populärem. Wer den meinungsstarken, von ihm mit einigen musikalischen Mitstreitern betriebenen "Bad Blog Of Musick" kennt, weiß auch, dass er sich während der Pandemie ziemlich über Schwurbler und Verschwörungstheoretiker geärgert hat.

Und da es die vornehmste Pflicht eines Künstlers ist, seinen Ärger ästhetisch zu sublimieren, hat er ihn in eine Oper verwandelt, die 2023 an der Wiener Volksoper uraufgeführt wurde und nun am Staatstheater Augsburg zu sehen ist.

Julius Kuhn als Erzähler.
Julius Kuhn als Erzähler. © Jan-Pieter Fuhr

"Die letzte Verschwörung" erzählt von einem mit seinem Leben leicht unzufriedenen TV-Moderator. Er lädt einen Anhänger des Glaubens an die Scheiben-Erde in seine Show ein. Obwohl es zum Eklat kommt, bleibt er interessiert, unter anderem auch, weil ihn Schwurbel-Dieters Partnerin erotisch anzieht. Er wirft seinen Job hin, verlegt seine Aktivitäten ins Internet und gerät immer weiter in den Strudel immer absurderer Verschwörungstheorien hinein.

Wolfgang Schwaninger als TV-Moderator
Wolfgang Schwaninger als TV-Moderator © Jan-Pieter Fuhr

Eggert hat nichts ausgelassen: Ufos, Illuminaten, Mobilfunk, von den Eliten verzehrtes Kinderfleisch, den untoten Elvis. Ein sehr geschickt eingesetzter Erzähler rafft unter dem Namen "Das System" (Julius Kuhn) die Handlung. Der macht nie den klassischen Fehler, von etwas zu berichten, was dann noch nicht gezeigt wird.

Außerdem streift er einige nicht dargestellte Verschwörungstheorien, macht den unvermeidlichen Witz über Grüne ("unbeliebt wie grüne Bananen") und lädt das Publikum ein ‒ wir befinden uns schließlich in einem bayerischen Staatstheater ‒ einen Kalauer über Markus Söder zu ergänzen.

Erzählt wird in einem bei zeitgenössischer Oper ungewöhnlichem, fernsehtauglichem Tempo. Die Inszenierung des Augsburger Intendanten André Bücker arbeitet viel mit bewegter Computergrafik, was hier ebenso gut passt wie die Verlegung einzelner Szenen auf eine Spielfläche vor dem Orchester (Bühne: Wolf Gutjahr, Video: Robi Voigt). Bücker hat noch Anspielungen auf "Matrix" hinzugefügt, macht bei allem Willen zur unterhaltsamen Buntheit aber nicht den Fehler, die Figuren vollends als Karikaturen zu entstellen.

Wolfgang Schwaninger mit Shin Yeo
Wolfgang Schwaninger mit Shin Yeo © Jan-Pieter Fuhr

Auch die Darsteller überdrehen die Geschichte nicht ins Lächerliche. Der heldische Charaktertenor Wolfgang Schwaninger stellt einen glaubhaften Mittfünfziger auf die Bühne, der sein Leben noch mit etwas Abenteuer nachpfeffern möchte und dabei auf Abwege gerät. Shin Yeo (Schwurbel-Dieter), Jihyun Cecilia Lee (Lara), Wiard Witholt (Alois Dunkler/Der Kanzler) und alle übrigen bilden ein gut eingespieltes Ensemble. 

Klangschönheit und Wucht

"Die letzte Verschwörung" firmierte in der Uraufführung als Operette, in Augsburg dagegen als Oper, was richtiger ist. Die Augsburger Philharmoniker unter ihrem engagierten Generalmusikdirektor Domonkos Héja wagen Klangschönheit und Wucht, ohne die Sänger zuzudecken. Auch ohne Obertitel versteht man fast jedes gesungene Wort, was bei alten wie neuen Opern selten ist.

Wolfgang Schwaninger.
Wolfgang Schwaninger. © Jan-Pieter Fuhr

In der Pause bemerkte eine Besucherin, Eggerts eingängige Komposition erinnere sie an Filmmusik. Der erfahrene Opernbesucher, der womöglich im Sommer Sergej Prokofjews "Der Spieler" in Salzburg gesehen hat, fühlt sich an dessen symphonische Grundierung gesungener Dialoge erinnert, wobei Eggert öfter Duette und Chöre zulässt.

Wolfgang Schwaninger, Luise von Garnier und Avtandil Kaspeli in "Die letzte Verschwörung".
Wolfgang Schwaninger, Luise von Garnier und Avtandil Kaspeli in "Die letzte Verschwörung". © Jan-Pieter Fuhr

Aber man versteht an dem Abend auch zeitgenössische Komponisten, die vor der Vertonung von Alltagsdialogen zurückschrecken. Schon die Erfinder der Oper trauten um 1600 gesungene Gespräche nur mythischen Halbgöttern, Heiligen oder antiken Helden zu.

Und das mit einigem Recht: Ein TV-Moderator, dessen eheliche Konversation beim Abendessen ein großes Orchester mit zwei Harfen begleitet, wirkt irgendwie seltsam.

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Eggert ist aber klug genug, in solchen Momenten seine Musik ironisch glitzern zu lassen. Wer das mitdenkt und seinen Spaß an Verschwörungstheorien hat, wird den Ausflug zum Interim des Staatstheaters Augsburg im Martini-Park gewiss nicht bereuen.

Wieder am 27. Oktober, 3., 14. und 22. November im Interim Martini-Park, www.staatstheater-augsburg.de

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