Im Raubtierkäfig

Das Festival „Radikal jung“ endete im Volkstheater mit Shakespeares „Romeo und Julia“ eher plakativ – Regisseur Simon Solberg hat aber bald seine zweite Chance mit Schillers „Jungfrau von Orleans“
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Das Festival „Radikal jung“ endete im Volkstheater mit Shakespeares „Romeo und Julia“ eher plakativ – Regisseur Simon Solberg hat aber bald seine zweite Chance mit Schillers „Jungfrau von Orleans“

Radikal ausverkauft: 100 Prozent Auslastung vermeldet das Festival „Radikal jung“, das am Freitag mit Simon Solbergs Inszenierung „Romeo und Julia“ im Volkstheater zu Ende ging. Nicht Hype, sondern Förderung der jungen Regisseure um die 30 ist das Ziel: Die drei Juroren – Schauspielerin Annette Paulmann, Dramaturg Kilian Engels und Kritiker C. Bernd Sucher – suchen nicht die besten Inszenierungen, sondern die eigenwilligsten Regie-Handschriften.

Für das Volkstheater ist dabei seit 2005 stets ein künstlerischer Mehrwert herausgesprungen: Intendant Christian Stückl hat schon viele der eingeladenen Nachwuchsregisseure an sein Haus verpflichtet. Wie Christine Eder, deren Inszenierung „Eros“ in diesem Jahr das Volkstheater vertrat, oder Simon Solberg, der hier nach seinem „Faust“ von 2009 demnächst Schillers „Jungfrau von Orléans“ verjüngt (Premiere 7. Mai).

Etwas zu jugendlich

Radikal jung waren Romeo und seine 14-jährige Julia schon bei William Shakespeare vor über 400 Jahren. In Simon Solbergs Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden sind sie das natürlich heute: Einer der Springerstiefel von Julia (Annika Schilling) ist auffällig in Pink geschnürt. Die austauschbaren Jungs mit Lederjacken, Kapuzenshirts und jeder Menge Tattoos hiphoppen und breakdancen, sie klettern, springen oder flanken leistungssportlich über den Gitterzaun (Bühne: Simeon Meier), der die Claims der verfeindeten Clans absteckt. Wenn im Bandenkrieg die Messer gezückt werden, verengt sich der Bauzaun zum Zirkus-Raubtierkäfig, aus dem die Leichen von Tybalt (Sebastian Wendelin) und Mercutio (Stefko Hanushevsky) per Bahre und Schubkarre abtransportiert werden. Und beim Maskenball mit Polit-Gesichtern darf natürlich Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg nicht fehlen.

Ihre Liebe erklären sich die nächtens ausgerissenen Teenies Romeo (Sascha Göpel) und Julia auf dem Zaun reitend. Ihren Disput, ob nun Nachtigall oder Lerche die Hochzeitsnacht ausläuten, sieht das Publikum per Live-Video in Castorf-Manier aus dem Inneren einer Bootskajüte. Der abgewrackte Kitsch-Kahn ist die Klause des Pater Lorenzo, der die Strippen der Lovestory zieht: Wolfgang Michalek wird als unheimlicher See(len)mann – quasi ein gestrandeter fliegender Holländer – zum dritten, starken Protagonisten einer schwachen, aufdringlich plakativen Aufführung.

Doch das Festival hat sich in sechs Jahren ein kompetentes Publikum herangezogen. Die überwiegend jungen Besucher lassen sich nicht von oberflächlich behaupteter Heutigkeit blenden: Der mit 2500 Euro dotierte Publikumspreis ging an Bastian Krafts sperrige und formal gewagte Bühnenversion von Franz Kafkas „Amerika“ mit dem virtuosen Schauspieler Philipp Hochmair als Karl Roßmann, der Amerika als Albtraum in einem Glaskasten erlebt.

Gabriella Lorenz

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