Im Keller Amerikas

The Decemberists aus Oregon haben mit „The King Is Dead“ ihr sechstes Album veröffentlich – die Band öffnet sich hier einem neuen, alten Sound und zitiert sich durch Folk und Country
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The Decemberists aus Oregon haben mit „The King Is Dead“ ihr sechstes Album veröffentlich – die Band öffnet sich hier einem neuen, alten Sound und zitiert sich durch Folk und Country

Don’t Carry It All“ – mit erdigen Arbeiterstiefeln stapft dieser erste Song los, als wolle er die Essenz aller Nummern von Neil Youngs „Harvest“ sein. „Here we come to a turning of the season“, singt Colin Meloy. Akustische Gitarre, Mundharmonika, Fiddle. Dann reicht ihm Gillan Welch die Hand. Als Gast zuständig für die herbstsonnige Country-Damenstimme. Und R.E.M.-Gitarrist Peter Buck macht sich gut hinter der Mandoline.

Das sechste Album der Decemberists aus Portland, Oregon ist ein Jahreszeitenwechsel. Nie zuvor war die Band mit dem Hang zur Ballade so schön einfach. Geschaffen haben sie ein Album, das klingt, als hätte man die wichtigsten Countryplatten zu Cranberry-Marmelade eingekocht. Hier zeigt sich, wieso Tradition immer noch das Beste ist, um die Kunst auf die nächste Stufe zu hieven – gerade weil die Treppe abwärts in den Keller Amerikas führt.

Der Weg ins Einfache

Für country-affine Bands war das schon immer der richtige Weg. 1968 beschritten ihn die Byrds mit „Sweetheart Of The Rodeo“. 1972 pilgerte die Nitty Gritty Dirt Band zu Mother Maybell Carter, um „Will The Circle Be Unbroken“ aufzunehmen. 2004 holte Jack White die Country-Dame Loretta Lynn aus dem Vergessen und soll Anfang letzten Jahres Interesse angemeldet haben, Dolly Parton zu produzieren. Das Folk-Revival, das ab Ende der 50er in Amerika auf den Newport Folk Festival kondensierte, war wesentlich inspiriert durch die Sammlertätigkeit von John und Alan Lomax. Was die für die Library of Congress so zusammentrugen, sollte auch für Bob Dylan zu einer unerschöpflichen Quelle werden.

Heute, wo Pete Seeger nicht mehr als Tugendwächter die Einhaltung des Reinheitsgebotes überwacht, ist man freier in der Auswahl der Inspirationsquellen. „January Hymn“ von den Decemberists klingt, als habe man die Simon & Garfunkel-Klassiker „I Am A Rock“ und „April Come She Will“ miteinander verdrahtet. Man muss nicht versuchen, das Unerhörte zu singen. Und man muss auch heute keine postmoderne Zitattheorie bemühen, die Überlieferungstradition der Volksmusik genügt vollauf. „Down By The Water“ – (hier sogar Songtitel) oder die Phrasen wie „keep on rolling“, „just be mine tonight“ – das sind Ausdrücke, aus dem Formenschatz der Folkmusic.

Colin Meloy, der mit seiner Kassenbrille aussieht, wie ein amerikanischer Sven Regener, geht in vollem Bewusstsein den Weg zum Einfachen. Da muss das Studio eine Scheune mit Blick auf den Mount Hood sein. Dass bei all den Platten, die „The King Is Dead“ bestrahlten, kein Kopfkind entstanden ist, sondern ein atmendes, lachendes, weinendes Folk-Album, das ist die eigentliche Leistung. Roll on.

Christian Jooß

The Decemberists: „The King Is Dead“ (Beggars / Rough Trade)

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