Im digitalen Starkregen
Angekündigt war das „Fernsehcomeback des Jahres“. Sabine Christiansen, die Polit-Domina aus dem Ersten, ist zwei Jahre nach dem Ende ihrer Talkshow wieder da. An der Seite von Ex-„Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust (63) will die 51-Jährige an fünf Sonntagen in Folge Deutschlands Spitzenpolitiker „ins Kreuzverhör nehmen“. Zum Auftakt von „Ihre Wahl. Die Sat1-Wahlarena“ gab sich am Sonntagabend Deutschlands derzeit beliebtester Politiker die Ehre: Karl-Theodor zu Guttenberg.
Es war eine schlimme Stunde. Das lag gar nicht so sehr an Guttenberg. Der setzte sein Bubi-Lächeln auf - und zu sprachlich aus der Zeit gefallenen Stanzen an: Dass er sich „ein gerüttelt Maß an Bescheidenheit bewahrt“ und „ein Konzept, das meinen Segen nicht hatte, fröhliche Urständ in der Öffentlichkeit gefeiert“ habe etwa. Und als ihm eine Unternehmerin vorhielt, im Mittelstand brenne es und sie sei von ihm enttäuscht, lächelte der CSU-Mann und sagte artig: „Vielen Dank, ich bin sehr einverstanden mit der Kritik.“
Anstatt den Minister mit kritischen Fragen zu grillen oder zu entlarven, erstickte Sat1 freilich jede aufkeimende Debatte sofort mit einem tonnenschweren Multimedia-Teppich. Es war ein digitaler Starkregen! Aus Einspielfilmchen, die sinnfrei mit Händels Halleluja unterlegt waren. Aus einem SMS-Laufband, dessen Inhalt in der Sendung keinerlei Rolle spielte. Und aus Userkommentaren, die per Webcam, Twitter, und E-Mail auf die Runde einprasselten und von den Moderatoren atemlos vorgelesen wurden, während Guttenbergs riesig herangezoomtes, leicht irritiertes Gesicht über eine großen Video-Leinwand im Studio flimmerte.
Als wäre das alles nicht schon unerträglich genug gewesen, durfte auch noch „Prinzen“-Sänger Sebastian Krumbiegel, aus einem Wohnzimmer in Leipzig zugeschaltet, als Quoten-Ossi ein paar Worthülsen in die Kamera brabbeln („im Rahmen der Möglichkeiten hat die Regierung das schon so gemacht, dass das schon ok war“) – nur, damit Christiansen den müden Gag vom „schwarzen Baron und roten Prinz“ loswerden konnte.
Überhaupt Christiansen: Die Moderatorin, die Beine züchtig bedeckt und nicht mehr ganz so schmal im Gesicht wie zu ARD-Zeiten, berauschte sich derart an ihrem TV-Comeback, dass es der Sendung gar nicht gut tat. Wenn sie mal gerade nicht im Schweinsgalopp durch Webcam- und Twitter-Fragen eilte oder dem bleichen, an diesem Abend überhaupt nicht investigativen, sondern schlicht indisponierten Stefan Aust brutal ins Wort fiel, hakte sie nicht nach oder stellte derart krude Fragen, dass selbst dem Barden aus Leipzig die Gesichtszüge entglitten. „Sebastian, was hat Politik mit Lebenswirklichkeit noch zu tun?“ Krumbiegel: „Ich glaube, dass man das gar nicht so verallgemeinern kann.“
Auch als nach der ersten Werbepause Linken-Chef Oskar Lafontaine mit im Ring saß, wurde es nicht besser. Der begnadete Populist heimste mit seinen Wahlkampf-Phrasen billigen Beifall des Studiopublikums ein und lachte nur höhnisch, als Guttenberg sich im Technokraten-Sprech verhedderte und „statt des Mindestlohns ein flächendeckendes Mindesteinkommen“ forderte. PS: Die Quote war verdientermaßen mies. Nur 0,83 Millionen Zuschauer verloren sich in der Sat1-Wahlarena – und nicht wenige von ihnen verhängten die Höchststrafe. Sie schalteten zu Anne Will ins Erste um.
Markus Jox