"Im Clinch": Fatih Akins Geschichte seiner Filme
Hamburg - Er sei kein Typ für eine Autobiografie, sagt Fatih Akin entschieden. "Das würde mir alles gar nicht wichtig genug erscheinen", erklärt der Filmemacher aus Hamburg, der seit seinem Drama "Gegend die Wand" zu Deutschlands erfolgreichsten Regisseuren gehört, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
"Ich werde höchstwahrscheinlich niemals eine Biografie oder ein eigenes Buch schreiben, die Zeit und das Talent dafür habe ich gar nicht." Dennoch hat der 38-Jährige gerade ein Buch veröffentlicht: "Im Clinch" erzählt die Geschichte seiner Filme - und viel über ihn selbst.
Für seine Werke ist Akin, der Filme wie "Kurz und schmerzlos", "Im Juli", "Crossing The Bridge", "Auf der anderen Seite" und zuletzt "Soul Kitchen" auf die Leinwand gebracht hat, auf internationalen Festivals gefeiert worden. Beim Filmemachen habe er keine politische Botschaft im Kopf - ein Geschichtenerzähler will er sein, Menschen unterhalten und zum Nachdenken bringen. "Und wenn man Autorenfilmer ist, schöpft man ohnehin immer aus seinem Leben und seinem Umfeld. Insofern ist dieses Buch zwar so etwas wie ein großes Making-of meines bisherigen Werkes, erzählt aber gleichzeitig viel über mich."
Vor allem auch darüber, wie sich der Sohn türkischer Einwanderer von den Jugendgangs im multikulturellen Hamburg-Altona auf die roten Teppiche der Filmwelt durchboxte. "Unsere Straße hatte in Hamburg die höchste Kriminalitätsrate", erzählt er in dem Buch. "Ich wurde bei den Türk Boys aufgenommen, trug eine Bomberjacke und hatte viel Gel in den Haaren." Man traf sich in der Bücherhalle, und Akin, als Sohn einer Lehrerin, führte ein Doppelleben: "Erst Bücher ausleihen, die ich am besten versteckte, und die Brille abnehmen, denn ich bin kurzsichtig. Mitglieder einer Gang tragen keine Brille und lesen auch keine Bücher."
Geprügelt habe er sich, nie aber an Autodiebstählen, Einbrüchen oder Drogendeals beteiligt - und rechtzeitig den Absprung geschafft. Die Schule zog er trotz allem bis zum Abi durch, und längst hatte er die Leidenschaft fürs Kino entdeckt - gemeinsam mit Schulhofkumpel Adam Bousdoukos, der prompt Hauptdarsteller seines ersten Spielfilmes "Kurz und schmerzlos" wurde. Das Filmemachen vergleicht Akin inzwischen mit dem Boxen: "Kräfte einteilen, Taktik, Timing." Oft genug habe er im Clinch mit sich selbst gelegen, schreiben die Herausgeber Volker Behrens und Michael Töteberg, die Akin für das Buch über Monate interviewt haben.
Der von ihnen verfasste Werkstattbericht soll nichts beschönigen. Akin erinnert sich an Glücksmomente genauso wie an Probleme. Etwa bei der Entstehung seines ersten Berlinale-Erfolgs "Gegen die Wand" (2004): "Wir steckten bis zum Hals in Schwierigkeiten, standen mitten in einem emotionalen Erdbebengebiet", erzählt er über die Dreharbeiten zu dem preisgekrönten Drama, in dem Sibel Kekilli und Birol Ünel die Hauptrollen spielten. So kam es etwa beim Dreh in der Hamburger "Fabrik" wegen eines T-Shirts, das Ünel nicht anziehen wollte, zum Streit. "Erst habe ich Birol geschubst, dann er mich. Schließlich haben wir uns mit Stühlen beworfen und sind aufeinander losgegangen."
Oder bei "Solino" (2002), dem Film über eine italienische Familie im Ruhrgebiet: "Bei Solino war der Dreh zu schön, als dass ein vernünftiger Film dabei herausgekommen ist. Ich habe nicht genug gelitten", sagt Akin im Rückblick. So sei es ein Fehler gewesen, die Synchronisation selber zu machen. "Die deutschen Stimmen von Sigourney Weaver, Kate Winslet, alle meine Lieblingsstimmen habe ich eingesetzt - das war babylonisch - ein Mischmasch von Stimmen, die man als Zuschauer irgendwie kannte, ganz furchtbar. Ich wusste hinterher: Nie wieder!"
Auf 256 Seiten mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos wirft Akin einen Blick zurück auf seine Arbeit - und nach vorn. Wenn sein eigenes Leben ein Film wäre - keine einzige Szene hätte er herausgeschnitten. "Selbst die Fehler und Peinlichkeiten, Schandtaten und Sünden, wenn man sie ehrlich genug reflektiert, können einen weiterbringen im Leben", sagt er. "Wenn ich das ehrlich genug tue, werde ich vielleicht der ausgeglichenere Mensch und der vollkommenere Regisseur." Ein Regisseur und Produzent, der auch derzeit wieder an mehreren Projekten gleichzeitig arbeitet.
Im nächsten Jahr will er seine Langzeit-Dokumentation "Der Müll im Garten Eden" über ein türkisches Bergdorf und dessen jahrelangen Widerstand gegen eine Mülldeponie nach Cannes bringen. Außerdem plant er einen Film über Boxpromoter Ahmet Öner, träumt von einem Western und flirtet mit Amerika ("Die Drehbücher, die ich geschickt bekomme, werden besser.") Der dritte Teil seiner Liebe-, Tod- und Teufel-Trilogie nach "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite" muss noch warten. "Fatih Akin weiß, dass er seinen besten Film noch vor sich hat", schreiben die Herausgeber. "Also steigt er wieder in den Ring. Der Kampf geht weiter."
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