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Tarantinos „Inglourious Basterds“ ändern die Darstellung des Bösen: Ein Rückblick auf die NS-Figuren im amerikanischen Kino
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Der Nazi hat eine Vorgeschichte: Christoph Waltz in Quentin Tarantinos neuem Film.
dpa 6 Der Nazi hat eine Vorgeschichte: Christoph Waltz in Quentin Tarantinos neuem Film.
Conrad Veidt als Major Strasser
Cinetext/Richter 6 Conrad Veidt als Major Strasser
Burt Lancaster in "Das Urteil von Nürnberg"
Cinetext/Richter 6 Burt Lancaster in "Das Urteil von Nürnberg"
Statt das Übel an der Wurzel zu packen, behandelt das Übel die Wurzel.
Cinetext/Richter 6 Statt das Übel an der Wurzel zu packen, behandelt das Übel die Wurzel.
Gregory Peck als Josef Mengele.
Cinetext/Richter 6 Gregory Peck als Josef Mengele.
Ralph Finnies in Spielbergs Film
Cinetext/Richter 6 Ralph Finnies in Spielbergs Film

Tarantinos „Inglourious Basterds“ ändern die Darstellung des Bösen: Ein Rückblick auf die NS-Figuren im amerikanischen Kino

Sie sind gebildet, eloquent und können ihre Gegner mit den Waffen des Intellekts mühelos schachmatt setzen. Nein, so lässt Quentin Tarantino nicht die Amerikaner in die Schlacht ziehen – sie sind die Haudrauf-Helden, seine „Inglourious Basterds“. Sondern es sind die Nazis, die Tarantino als kultivierte Monster ins rechte Licht rückt. Wenn Christoph Waltz als SS-Oberst Landa mit fiesem Charme nach Juden fahndet, lässt sich die unangenehme Faszination des Bösen kaum leugnen. Ein kniffliges Vergnügen. Hollywoods Bild der Nazis änderte sich im Laufe der Filmgeschichte. Ein Überblick.

„Ich war ein Spion der Nazis“ (1939)

Die USA wahrte Distanz zu den Vorkommnissen in Europa, auch Hollywood hielt sich zurück. Umso mehr schockte es 1939 mit „Ich war ein Spion der Nazis“. Hier jagt Edward G. Robinson deutsch-amerikanische Spione, die in den USA militärische Geheimnisse auskundschaften. Auf Artikeln des Ex-FBI-Agenten Leon G. Turrou gründet der Film, er zeigt wie seine Vorlage: Auch God’s own country ist bedroht! Wobei der Arbeitslose, der sich von den demagogischen Reden eines Physikers überzeugen lässt, recht unterbelichtet ist. Nicht nur im Film grassierte die Angst. Marlene Dietrich wollte nicht mitspielen, andere änderten ihre Namen in der Besetzungsliste, weil sie Repressalien gegen Verwandte in Deutschland befürchteten. Zu Recht. Angeblich hatte Hitler vor, die Macher nach dem Endsieg hinrichten zu lassen.

„Sein oder Nicht-Sein" (1942)

In Ernst Lubitschs Komödie über eine polnische Theatergruppe im okkupierten Warschau erscheint der Faschismus als Idee weicher Birnen. Die Nazis werden leicht zum Spielball der Schauspieler. „Ich heil’ mich selbst“, grüßt der Fake-Hitler, und wenn er auf der Flucht mit seiner Truppe ein Flugzeug kapert, muss er den Nazi-Piloten nur den Befehl geben, hinauszuspringen, und sie tun es. Ohne Fallschirm. Der deutsch-jüdische Lubitsch war 1922 aus Deutschland ausgewandert. Er zeigte: Nazis sind obrigkeitshörig, manipulierbar, lächerlich. Und gerade deswegen gefährlich.

„Casablanca“ (1942)

Das Menjou-Bärtchen perfekt gepflegt, die Haare streng zurückgeschniegelt, lässt Conrad Veidt als Major Strasser keinen Zweifel, dass er in Casablanca ohne Gnade die gesuchten Untergrundkämpfer dingfest machen wird. Der Nazi versteckt seine Absichten hinter Manieren, ähnlich macht das auch Hans Landa bei Tarantino. Nur ist Strasser schnell unterlegen: Mit seinen Parteigenossen singt er „Die Wacht am Rhein“ in Rick’s Café und wird von der Band und anderen Gästen mit der „Marseillaise“ übertönt. Viele der Nazis wurden von deutschen, aus ihrer Heimat geflüchteten Juden gespielt. Veidt selbst verließ das Land 1933, nachdem er die Jüdin Ilona Preger geheiratet hatte. Er hasste die Nazis – und wurde in den USA als Nazi-Darsteller bekannt.

"Tarzan und die Nazis" (1943)

Auch der Abenteuerfilm lebt unter der Bedrohung auf. Nur: Tarzan braucht lange, bis er sich aufrafft, eine afrikanische Dschungelstadt von deutschen Besatzern zu befreien. Der propagandistische Actionfilm startete in den Kinos, kurz nachdem die USA in den Krieg eingetreten waren. Zentraler Satz des Films: „Now Tarzan make war!“ Unter Einsatz befreundeter Elefanten veranstaltet Tarzan einen Blitzkrieg. Die Deutschen sind heillos unterlegen. Am Ende nimmt Schimpanse Cheeta schnatternd einen Funkspruch aus Berlin entgegen. „Das ist der Führer“, ruft der funkende General – und salutiert mit seinen Mannen.

„Das Urteil von Nürnberg“ (1961)

Nach dem Krieg finden sich weniger Filme mit Nazis als Protagonisten, die Aufarbeitung brauchte Zeit. Stanley Kramers dreistündiges Gerichtsdrama „Das Urteil von Nürnberg“ kam 1961 in die Kinos, vierzehn Jahre nach dem Verfahren gegen eine Reihe von NS-Richtern wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Spencer Tracy wacht in der Rolle des Richters über einen Prozess, in dem wenigstens einer der Angeklagten, der von Burt Lancaster gespielte Dr. Ernst Janning, sich zu seinen Verbrechen bekennt, nicht ohne darauf zu beharren, dass er ein Opfer des Regimes sei. Auch die Deutschen neben ihm sind unfähig, sich ihre Schuld einzugestehen. Marlene Dietrich beharrt als NS-Generalswitwe: „Wir wussten es nicht!“

„Der Marathon-Mann“ (1976)

Im politisch aufgeladenen Hollywoodkino der 70er Jahre scheute man sich wenig, dem Bösen ein eindringliches Gesicht zu geben. Einen Nazi zu spielen, erschien manchem Star als attraktives, weil schwieriges Rollenangebot. Laurence Olivier bekam eine Oscar-Nominierung für seine Darstellung des Nazi-Zahnarztes Dr. Szell in John Schlesingers Thriller „Der Marathon- Mann“. Glatzköpfig, großbebrillt und adrett mit Weste und Krawatte quält er Marathon-Läufer Dustin Hoffman, den er für einen Agenten hält, mit der Code-Frage „Is it safe?“ und einigem Zahnarztzubehör. Der Sadist im bürgerlichen Kostüm ist ein Abbild des SS-Arztes Josef Mengele.

„The Boys From Brazil“ (1978)

Gregory Peck spielte Josef Mengele zwei Jahre später in der Verfilmung von Ira Levins Roman „The Boys From Brazil“. Ein Thriller über gezüchtete Hitler-Klone. Pecks Mengele ist ein Irrsinniger mit Schnauzbart, für ihn war es die einzige völlig unsympathische Rolle seiner Karriere. Mengele wird im Film von einem Nazi-Jäger verfolgt, der Simon Wiesenthal nachempfunden wurde. Diese Rolle übernahm – Laurence Olivier.

„Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981)

Indiana Jones hasst Nazis und trifft doch immer wieder auf sie. Im ersten Teil der Filmreihe kämpft er gegen sie auf der Suche nach der verschollenen Bundeslade der Bibel, im dritten Teil geht es um den Heiligen Gral. Die Nazis sind für Indy Pistolenfutter, sie können getrost getötet werden. Für die Amerikaner schienen Nazi-Deutsche ein währendes Feindbild zu sein, was der deutsche Verleih seinem Publikum eher ungern vor Augen führte. Wenn ein SS-Standartenführer Indy im dritten Teil ins Gesicht schlägt, meint der Böse in der deutschen Fassung: „Und so sagen wir bei der SS ,Auf Wiedersehen’!“ Im Original: „That’s how we say goodbye in Germany!“

„Schindlers Liste“ (1993)

Ralph Fiennes nahm für seine Rolle des KZ-Kommandanten Amon Göth in Steven Spielbergs oscar-prämiertem Film beträchtlich zu und stellt einen schmerbäuchigen Sadisten dar, dem es, historisch verbürgt, Freude bereitete, am Morgen von erhöhtem Posten aus auf KZ-Häftlinge zu schießen, sie seinen Doggen zum Fraß vorzuwerfen. Wie beim „Marathon-Mann“ spielte ein Brite die zentrale Nazi-Figur; wohl ein Anzeichen dafür, dass solche Verkörperungen nach Distanz verlangen, auch was die nationale Zugehörigkeit des Darstellers anbelangt.

„Der Vorleser“ (2009)

Oscar-Preisträgerin Kate Winslet lässt als ehemalige KZ-Wärterin in Stephen Daldrys Beststeller-Verfilmung „Der Vorleser“ hinter kantigen Bewegungen und verschlossenem Gesicht die Bestie Mensch hervorscheinen. Im heutigen Hollywoodfilm dient der Nazi dem Studium des Bösen in all seinen menschlichen Facetten. Jetzt kommt Christoph Waltz, ein Österreicher in der Rolle eines Nazis, dessen Scharfsinn, ja, Spaß macht?

Michael Stadler

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