»Ich möchte die Dinge begreifen und erforschen«

Am 22. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl in München hingerichtet. Der Autor und Regisseur Michael Verhoeven spricht im AZ-Interview über Sophie Scholl als Filmfigur und seine Lust an der Dokumentation.
von  Abendzeitung

Am 22. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl in München hingerichtet. Der Autor und Regisseur Michael Verhoeven spricht im AZ-Interview über Sophie Scholl als Filmfigur und seine Lust an der Dokumentation.

AZ: Herr Verhoeven, vor 25 Jahren haben Sie „Die Weiße Rose“ gemacht. Wie gingen Sie damals an das Projekt ran?

MICHAEL VERHOEVEN: Anfangs hatte ich nur die Informationen, die auch veröffentlicht waren. An die Familien bin ich nicht rangekommen. Erst allmählich, besonders durch die Fürsprache von Willi Grafs Schwester, bin ich zu Überlebenden durchgedrungen.

Dennoch wurde das Projekt zunächst verhindert. Warum?

Ich bin von der Filmförderung abgelehnt worden. Damals herrschte die These vor, die Märtyrer hätten die Flugblätter als ein letztes Fanal von der Brüstung geworfen, bereit, jetzt zu sterben. Nach dieser Legende war die Weiße Rose eine rein religiös motivierte Bewegung. Sie war aber darüber hinaus sehr wohl politisch motiviert. Das wollten all jene nicht wahrhaben, die selbst an diesem politischen Widerstand eben nicht teilgenommen haben. Die Gestapo-Protokolle, die nach der Wende zugänglich wurden, bestätigen das auch.

Sie mussten sich wegen des Films auch mit dem Bundesgerichtshof herumschlagen.

Ich hatte in einem Nachsatz kritisiert, dass der Bundesgerichtshof die Richter des Volksgerichtshofs, auch Freisler, als ganz normale Richter bezeichnet hatte und dass deren Urteile noch heute gelten. Das hat mich zwei Jahre ins Aus befördert.

Später hat der Bundestag erklärt, der Volksgerichtshof sei ein Terrorinstrument der Willkürherrschaft gewesen. Eine Genugtuung für Sie?

Es wäre vermessen, zu sagen, ich hätte mit diesem Ergebnis gerechnet. Aber ich wollte diese Diskussion.

Filmisch ist das sehr schlicht gemacht, fast dokumentarisch.

Ich hatte das eigentlich anders vor. Ich wollte auf gar keinen Fall eine Sophie, die der Sophie ähnlich sieht. Da ich dann aber solche neuen Informationen erhalten habe, bin ich ganz nah an den Fakten geblieben.

Der jüngere Film „Sophie Scholl – die letzten Tage“ erklärt wesentlich weniger. Braucht man das heute nicht mehr?

Ich wollte damals die Geschichte der Weißen Rose erzählen mit den Informationen, die mir die Familien und Freunde anvertraut hatten und die vielleicht nur ich hatte. Da wollte ich kein süffiges Filmwerk schaffen. Bei mir kommt Sophie von Ulm nach München und weiß erstmal gar nichts von dem, was ihr Bruder da macht. Sie nimmt sozusagen die Sicht des Zuschauers ein. Dafür brauchte ich sie, aber sie ist nicht meine Heldin. In dem anderen Film geht man ganz auf Sophie, transportiert Emotionen über diese Frau. Julia Jentsch macht das auch ganz toll. Der Effekt ist aber hoffentlich, dass Zuschauer sich danach näher informieren.

Der jüngere Film basiert auf Verhör-Protokollen, die nach der Wende aufgetaucht sind.

Es gibt aber nach wie vor keine wörtlichen Protokolle, das sind inhaltliche Zusammenfassungen. Die Autoren des Films haben daraus die Gespräche erdacht. Ich kritisiere das nicht.

In Ihrem Film sprechen Hans, Sophie und Christoph Probst bei ihrem letzten Treffen vor der Hinrichtung kein Wort. Im neuen Film schon.

Ich wollte ihnen in dieser Situation nichts in den Mund legen. Deswegen habe ich die Zigarette erfunden, die sie herumreichen. Allerdings hat man Julia Jentsch bei der Verabschiedung von ihren Eltern die letzten Worte in den Mund gelegt, die in Wahrheit Christoph Probst gesprochen hat: „In der Ewigkeit sehen wir uns wieder.“ Das finde ich unverzeihlich.

Heute gibt es immer mehr Produktionen mit Hitler als Comedy-Figur. Wie sehen Sie das?

Ich habe nichts dagegen, auch wenn ich es nicht machen würde. Wenn man wirklich darüber lachen kann...Charly Chaplin hat den von der Welt gewürdigten Hitler entwürdigt – das war eine große Leistung. Heute, ist es leichter, Hitler lächerlich zu machen. Aber die Konzentration auf diese Führer-Figur wendet ja auch den Blick ab von denen, die alle mitgelaufen sind.

Mit „Der unbekannte Soldat“ haben Sie im Jahr 2006 einen Dokumentarfilm über Verbrechen der Wehrmacht gedreht. Bleiben Sie nun beim historischen Dokumentarfilm?

Es ist schon so, dass ich Dinge begreifen und und erforschen möchte. Gerade mache ich einen Dokumentarfilm über die ,Arisierung’. Ich habe mir das immer so vorgestellt, dass die Gestapo kam und den Juden ihren Besitz gestohlen hat. In Wahrheit aber waren es die Finanzämter. Der normale deutsche Beamte, der danach wieder Beamter war und sich an nichts erinnern konnte. In diesen Schlund bin ich bei den Recherchen eingestiegen.

Fehlt Ihnen nicht auch der fiktionale Film?

Doch, deswegen bereite ich auch einen vor. Es ist allerdings wieder eine wahre Geschichte, nach dem autobiografischen Roman von Laura Waco „Von Zuhause wird nichts erzählt“. Sie spielt im München der 50er Jahre, das ich selbst als Kind erlebt habe. Und auch noch in der Borstei, wo auch ich in die Schule gegangen bin und jeden Stein kenne.

Interview: Tina Angerer

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